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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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des Saals hörte ich noch ihre erregte, laute, gar nicht mehr vornehm säuselnde Stimme hinter mir: »Was hat sich die Dicke denn erwartet?«
    Zurück in meinem kleinen »Untermietkabinett« mit Blick in einen engen, finsteren Innenhof, holte ich die Fressalien meiner Mutter hervor und genehmigte mir vor dem Zubettgehen als Trost noch ein großes Stück Brot mit pikanter Blutwurst. Außerdem murmelte ich, bevor ich auf meinem schmalen und harten Bett einschlief, noch zwanzig Mal: »Es geht mir jeden Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser!«

Kapitel 4
    4
    Manchmal aß ich zu Mittag nicht das übliche Wurstbrot aus eigener Fabrikation, sondern ging in die Konditorei »Aida« in unmittelbarer Nachbarschaft meiner Bank. Hauptsächlich ältere, altmodisch gekleidete Damen mit topfförmigen Hüten und viel Freizeit bevorzugten dieses Eldorado billiger, aber vorzüglicher Mehlspeisen. Sie trafen sich dort mit gleichaltrigen Freundinnen. Auch meiner harrten köstliche Gaumenfreuden in Form von Torten, die man eigentlich nur als Törtchen bezeichnen konnte. Teilten doch die Konditormeister ihre Kunstwerke geschickt in winzige, perfekt aussehende Miniportionen, ohne dass sie bei dieser schwierigen Prozedur zerfallen wären. Die Wahl zwischen Esterhazy-Schnitten, Schwarzwälder Kirschtorte und Punschkrapfen mit glänzendem zartrosa Zuckerguss fiel jedes Mal schwer.
    »Schaut wirklich alles verlockend aus, nicht wahr?«, sagte jemand in der Schlange hinter mir, als ich un schlüssig vor der Vitrine stand. Es war ein kleiner, wohl genährter junger Mann mit rundem Gesicht, braunen Haaren und ebensolchen Augen, der mich aufmunternd anlächelte. Mit »Sie erlauben, dass ich mich da hersetze?« nahm er an meinem runden Tischchen Platz. »Ich habe Sie schon öfter in der ›Aida‹ gesehen. Essen Sie auch so gern Süßes wie ich?« Ich musste lachen: »Ja, leider! Sollte ich nicht!« – »Aber nein, dürre Frauen sind hässlich«, meinte mein neuer Bekannter. Er stellte sich als Dr. Leopold E. vom nahen Historischen Institut der Universität Wien vor. Als ich ihn kurz darauf abermals in der Konditorei zwischen lauter alten Damen beim Verzehr zweier Punschkrapfen antraf, plauderten wir schon wie alte Freunde. Ich erfuhr, dass er aus dem Weinviertel stammte und der Sohn eines Bauern war, es aber abgelehnt hatte, die Landwirtschaft seiner Eltern zu übernehmen. Nachdem er schon als Kind ein Faible für österreichische Geschichte entwickelt hatte, zahlte ihm sein Vater, ob wohl es ihm schwerfiel, widerstrebend ein Studium. Seit zwei Jahren sei er nun Universitätsassistent, hoffe sich bald zu habilitieren. Er schreibe und publiziere sehr viel.
    Mein Interesse an dem leider nicht sehr ansehnlichen Weinviertler war geweckt. Hatte ich doch kurz zuvor in irgendeiner Zeitung eine Notiz gelesen, dass ein Journalist namens C. W. Ceram von seinem Werk »Götter, Gräber und Gelehrte« fünf Millionen Exemplare verkauft hatte und reich geworden war. »Welche Art von Büchern schreiben Sie denn?«, erkundigte ich mich neugierig. »Sachbücher?« – »Ja, ganz genau. Und ich versuche mich populär zu fassen, ich möchte mit Themen zum Mittelalter ein breites Publikum erreichen!« Wow, genau wie C. W. Ceram. Und er ist nicht bloß ein Journalist, sondern Historiker, ein richtiger Fachmann!, dachte ich bei mir, um laut zu fragen: »Was bekommt man denn so für ein Exemplar?« – »Zwischen 7 und 10 % vom Ladenpreis, bei Bestsellern natürlich mehr. Verkauft man die Filmrechte, ist man ein gemachter Mann«, kam die Antwort.
    Ich schwieg, denn mein Gehirn surrte wie eine Rechenmaschine: Angenommen, ein Buch kostet 150 Schilling. Das mal, sagen wir bescheiden, drei Millionen Stück macht 450 Millionen. Und zehn Prozent davon, das sind ja ungeheuerliche 45 Millionen. Mein Blick ruhte freundlich und wohlwollend auf dem kleinen Historiker mit dem abgewetzten Sakko und der vielversprechenden Zukunft.
    Dieser hustete, wurde rot: »Fräulein Hermine, darf ich Sie am Sonntag zu einem Spaziergang nach Schönbrunn einladen? Das Wetter soll schön werden.« Gern sagte ich zu. In Gedanken tätigte ich bereits Einkäufe um 45, vielleicht sogar noch mehr Millionen, denn es war die Zeit des guten, alten österreichischen Schilling – bis zur Einführung des ungeliebten Euro sollte es noch dauern. Aber auch in der neuen Währung hätte Dr. Leopold E. den gewaltigen Betrag von über drei Millionen Euro erzielt.
    Am Wochenende spazierten wir

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