Leichenroulette - Roman
anfallenden Betriebskosten erklären ließ, in der total verkommenen Küche einer Altbauwohnung zwei schöne, fein geschliffene Gläser ein. Im Keller der verkaufswilligen Hofratswitwe wiederum lagerten hochwertige Spirituosen, die uns beiden sofort ins Auge stachen. Mizzi zwinkerte mir zu, und ich reagierte sofort. »Hat es nicht gerade geklingelt?«, machte ich den jungen Makler höflich aufmerksam. Der Mann entschuldigte sich für einen Augenblick, um virtuellen Interessenten die Haustür zu öffnen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich voll Vergnügen, wie sich Mizzi, die bereits eine Tischdecke erbeutet hatte, sich grinsend eine Bouteille französischen Rotwein vom Jahrgang 1987 sowie eine Flasche Champagner aneignete und beides in ihre voluminöse Handtasche gleiten ließ. Darüber hinaus rettete die Kluge eine Schachtel mit alten, vergilbten Fotos.
Streifzüge und Exkursionen dieser besonderen Art führten uns durch die City von Wien mit ihren alten Palais und verschnörkelten Barockhäusern, aber auch in die bürgerlichen Außenbezirke voll bezaubernder Biedermeierhäuser, verwunschener Innenhöfe und Gärtchen. Bei schönem Wetter erweiterten wir unseren Horizont, indem wir Immobilien in der wirklich atemberaubend schönen grünen, mit Wäldern bedeckten, hügeligen Umgebung der Großstadt aufsuchten. All das war in jeder Weise überaus befriedigend. Es kostete nichts. Wir lernten unsere Heimatstadt und ihre Geschichte wirklich gründlich und in ihrer ganzen Vielfalt kennen, erfuhren viel über Architektur, sahen Neues, lernten interessante Leute kennen und kamen meistens auch materiell bereichert zurück. Denn man hätte nicht glauben sollen, was in den an gebotenen Objekten alles herumstand und -lag: Schuh löffel aus Horn beim Eingang, Ölbilder und Stiche in den Vorräumen, alte, kunstvoll gearbeitete Textilien in den Wohnzimmern, kostbarer Hausrat und vieles mehr. Unlängst konnte ich in einer dieser Fundgruben sogar einen kleinen alten Perserteppich ergattern, ohne dabei das geringste Aufsehen zu erregen.
Poldi ahnte von diesen Exkursionen, die mein Leben etwas aufmöbelten, nicht das Geringste. Ich tarnte sie listig als Spaziergänge mit meiner Freundin im »Lainzer Tiergarten«, dem einstigen kaiserlichen Jagdrevier am Rande Wiens, das nach dem Ende der Habsburgermonarchie für das allgemeine Publikum geöffnet worden war. Tatsächlich spazierten wir oft in der einstigen riesigen Domäne der Kaiserin Elisabeth herum. Man kann dort, vor allem unter der Woche, stundenlang in herrlich unberührter Natur wandern, nur beäugt von den in großer Zahl herumstreifenden und die Erde aufwühlenden Wildschweinen. Mizzi und ich liebten den Tiergarten und hielten uns dort gern auf, aber eben nicht immer.
Als mich Mizzi von unserem letzten diebischen Streifzug am frühen Abend heimbrachte, saß Leopold über seiner Arbeit, von der er sich bei unserer Ankunft nicht einmal erhob.
Wir ließen uns durch diese Unhöflichkeit nicht stören und verkosteten in der Küche den gar nicht üblen Wein der Hofratswitwe. Nach dem zweiten Gläschen in beste Laune versetzt, erklärte mir »Mizzi« das komplizierte Stickmuster ihrer neu akquirierten Decke. Dann öffneten wir den Karton, um dessen Inhalt zu begutachten. Die alten, bereits vergilbten Fotos und Postkarten riefen unser Entzücken hervor. »Wie schön Wien einmal war! Schau, die Ringstraße, gepflastert, nicht asphaltiert, und kaum Autos. Das muss so um 1930 gewesen sein! Und die Leute, alle so elegant gekleidet, obwohl doch die Zeiten der Wirtschaftskrise hart waren«, meinte ich. Mizzi pflichtete mir bei: »Jetzt, wo es den meisten gut geht, gehen sie in billigen Jogging-Anzügen auf die Straße!« – »Und das Stadtbild ist noch nicht verschandelt durch die grässlichen Emmentaler-Bauten der Nachkriegszeit!« – »Weißt was? Wir verkaufn unsern Fund am Samstag am Flohmarkt auf dem Naschmarkt!« Das war eine der guten Ideen von Mizzi. Ich freute mich. »Ja, und dann gemma essn zum Inder! Chicken Curry, eine Thali-Platte oder ein Tandoori.«
Dann sprang meine Freundin auf, erschrocken über die bereits vorgerückte Stunde, um zwecks Versorgung ihres Mannes, der pünktliche Mahlzeiten forderte, nach Hause zu eilen. Wir selbst aßen kalt, und danach delektierte sich Poldi an irgendwelchen faden Dokumentarsendungen im Fernsehen. Mir die »Seitenblicke« anzuschauen, in denen der ORF das Treiben von Wiens Schickeria zeigt, erlaubte er mir nicht. Es sei
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