Leichenroulette - Roman
verräterische Änderungen in Ausdruck und Mimik, wie man das immer behauptet? Nichts davon ist der Fall. Ein bleiches, aber, wie ihr scheint, durchaus attraktives Gesicht schaut ihr entgegen. Die großen blauen Augen blinzeln froh. Das regelmäßige Oval ihres Antlitzes versetzt sie in Entzücken. Sie findet sich sehr reizvoll!
Wie hässlich er aussieht, wie er da in der Badewanne liegt. Noch hässlicher als zu seinen Lebzeiten. Na ja, eine Schönheit war er nie. Seine offenen Augen scheinen nicht nur hervorzutreten, sondern sie auch in impertinenter Weise anzustieren, während sein Mund offen steht. Die schütteren grauen Haare kleben am von abstoßenden braunen Flecken bedeckten Kopf. Das Wasser umspült seine reglosen Glieder. Der Bauch ist auch nicht weniger geworden.
Angelika ist kein Unmensch. Trotz der vielen unangenehmen Erinnerungen an die Zeit mit Robert ist sie froh, ihrem langjährigen Gefährten ein so schnelles, fast schmerzloses Ende bereitet zu haben. Alles ist nach Plan und genau so verlaufen, wie sie es in einem Buch über berühmte Kriminalfälle gelesen hat.«
An dieser Stelle unterbrach mich empörtes Hüsteln. Als ich aufsah, erschreckte mich die grimmige Miene meines Mannes. »Es muss natürlich noch bearbeitet, ausgefeilt werden und so, es ist ja auch erst der Anfang«, erklärte ich hastig beim Anblick von Leopolds verächtlichem Grinsen. »Interessiert es dich, wie es weitergehen soll, wie ich mir das weitere Schicksal Angelikas vorgestellt habe? Sie …«
Er ließ mich nicht ausreden. »Nein, es interessiert mich nicht im Geringsten. Glaubst du wirklich, man kann einen Menschen in der Badewanne so mir nichts, dir nichts ertränken, ohne dass er sich wehrt? Und was für eine bodenlose Frechheit! Dein Elaborat ist nicht nur unaussprechlich primitiv, sondern auch gemein. Ich habe mich gleich erkannt! Mit deiner beschränkten Fantasie wählst du mich als Opfer aus, deine blöde Angelika ermordet natürlich mich. Dass du noch immer diese Frau ins Spiel bringst, immer wieder alte Sachen aufwärmst, ist lächerlich. Durchsichtig und lächerlich!«
Kopfschüttelnd über meine Idiotie, die sich in seinen Augen wieder einmal aufs Neue bestätigt hatte, stand mein zur Korpulenz neigender Mann umständlich auf, zerknüllte die hoffnungsfrohen Anfänge meines literarischen Versuchs mit den Worten »Robert! Pah, ich kenne dich!« und verschwand in sein Zimmer, um weiter an einem seiner kleinkarierten, unverständlichen historischen Texte mit den vielen hundert Fußnoten zu werken.
Zutiefst gekränkt und nachdenklich blieb ich noch eine Weile sitzen. So ist das also, ging es mir durch den Kopf. An seine widerliche Affäre mit Angelika will er nicht mehr erinnert werden. Man ist empfindlich! Dabei wäre sie in meinem Roman, ganz im Gegensatz zum wirklichen Leben, eine schöne Frau!
Die Erinnerung an die Zeit, als der erbärmliche Wicht an der Schwelle zum Alter glaubte, mich mit seiner Kollegin Angelika, genauer gesagt, Dr. Angelika Bauer, Spezialistin für mittelalterliche illuminierte Handschriften, sozusagen mit letzter Kraft betrügen zu müssen, stieg in mir hoch. Wie mag sich das Geschlechtsleben der beiden hässlichen Historiker damals so im Detail abgespielt haben? Die Vorstellung rief in mir keine nachträgliche Eifersucht, sondern nur Abscheu hervor, denn vor meinem inneren Auge sah ich die widerliche Paarung zweier plumper Dinosaurier.
Von dem Verhältnis der verschrobenen Historikergestalten hatte ich nur durch Zufall erfahren. »Weißt du, wen ich gesehen habe?«, berichtete mir Heidi Hu ber, eine pensionierte Bierhäusl-Bewohnerin und flüch tige Bekannte, deren kleinen Argusaugen nichts in der Siedlung und auch sonst nichts entging, eines Tages ganz aufgeregt und mit schlecht verhohlener Schadenfreude. »Deinen lieben Mann – und nicht allein! Stell dir vor, als ich auf dem Grab der Hanni-Tant Chrysanthemen ausgesetzt hab, seh ich ihn mit der schiachen Bauer auf dem Hernalser Friedhof. Du weißt, ich kenn die Frau Doktor vom Sehen; sie war doch ein paar Mal bei euch. Sind die Leute doch dumm! Sie glauben, wenn sie zwischen verfallenen Gräbern herumschleichen, sieht sie keiner.« Damit wusste ich Bescheid, ärgerte mich eine Weile, um mich dann an Poldis absurden Lügen zu ergötzen, die er hastig erfand, wenn ich mich unschuldig-besorgt nach dem Grund seiner späten Heimkehr erkundigte.
Beim Aufräumen in der Küche gönnte ich mir noch ein zweites Glas Rotwein. »Dieser
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