Leichenroulette - Roman
Letzteres, was Poldi mit unverhohlenem Sarkasmus bedachte. Dem zum Trotz vertiefte ich mich an müßigen Nachmittagen oder Abenden gerne in Illustrierte, die ich mir – natürlich kostenlos – über das Probeabonnement eines Lesezirkels bestellte. Mittels der Hochglanzseiten von Zeitungen wie »Society News« oder »Insider« konnte ich einen Blick hinter die Kulissen der großen Welt werfen, erfuhr vom »Fluch der Flicks« und dem traurigen Schattendasein, das Prinz Philip an der Seite der strengen englischen Queen führen musste. Fasziniert informierte ich mich über die prunkvollen Feste der Hocharistokratie, Anlässe, bei denen manche der älteren weiblichen Gäste – viele von ihnen mit hageren Gesichtern, die an edelrassige Pferde erinnerten – tatsächlich, wie vor hundert Jahren, funkelnde Diademe im Haar hatten und üppige Colliers trugen, deren Gewicht ihnen den faltigen Nacken zu beugen schien. Im Fürstentum Monaco ging es zur Freude der Gazetten wild her, bis die Erbprinzessin nach zahlreichen Eskapaden gar einen Rennfahrer heiratete. Auch in Schweden machte sich ein Hang zum Bürgertum bemerkbar. Die Vorgänge am dortigen Königshof ließen mich nicht kalt. Ganz wie im Märchen hatte sich der junge König in eine hübsche, jedoch nicht ebenbürtige Olympiahostess verliebt und sie nach vielen Widerständen geheiratet.
Poldi lachte dazu abfällig und äußerte sich wahrhaft schändlich. »Das liegt in der Familie«, bemerkte er herzlos. »Die Dynastie der Bernadotte geht auf den Schreiber eines Notars aus der Zeit Napoleons zurück. Was willst du?« – »Na, immer noch besser als Stallknechte aus dem Weinviertel«, erinnerte ich meinen Gatten voll Schlagfertigkeit an seine eigene Herkunft und traf ihn damit an einer wunden Stelle. Poldis große, geheime Sehnsucht nach einem langen Stammbaum voll bedeutender Ahnen war mir bekannt. Ebenso natürlich, dass ihn ein unberechenbares Schicksal als Sohn von zwar anständigen, aber insignifikanten Kleinbauern in die Welt gesetzt hatte. Auf jeden Fall stellte Leopold nach unserem kleinen Geplänkel seine hässlichen Blasphemien gegen die Bernadottes ein, und ich kehrte hämisch lächelnd zu meiner Zeitschrift zurück, wo ich die Roben der ewig jungen Stars von Film und Fernsehen bewunderte. Ich konnte nicht umhin, ihre aufregenden Sexkrisen mit wechselnden Partnern mit meinem eigenen Dasein zu vergleichen, von den entzückenden, gern zur Schau gestellten Kindern der weiblichen Filmstars gar nicht zu reden.
Ein Lifting konnte ich mir nicht leisten, nicht einmal ein kleines! »Da wäre schon einiges zu tun«, meinte der Schönheitschirurg Prof. Dr. Lauscher, den ich konsultiert hatte, weil seine erste Beratung nichts kostete, wohlwollend, beinahe väterlich zu mir. »Man darf nicht zu lange warten! Sie haben eine schöne Haut, aber Augenlider und Hals sind Ihre Problemzonen.« Flugs zeichnete er mit einem Farbstift Linien in mein Gesicht. »Da und da und da werde ich ansetzen und hier etwas raffen und anheben.« Wie eine derartige Operation denn vor sich ginge? »Wie bei einem Huhn«, erklärte der berühmte Mann ohne Scheu. »Ich hebe die Oberhaut vom darunterliegenden Gewebe ab, schneide Überflüssiges weg und ziehe sie hinter dem Ohr fest. Komplikationen sind ausgeschlossen. Gnä Frau, glauben’s mir, Sie werden zehn Jahre jünger aussehen, man wird Sie beneiden, oft sogar net wiedererkennen. Nur ka Angst!«, glitt er vertraulich ins Wienerische.
Dann zückte der Joviale ein kleines Zettelchen und notierte. Ober- und Unterlider je 30 000 Schilling, großes Lifting 60 000 Schilling, Spitalkosten je nach Privatklinik zwischen 20 000 und 30 000 Schilling. Es ginge auch ohne Rechnung, wie er mir augenzwinkernd bedeutete. Dann würden wir uns beide die lästige Mehrwertsteuer ersparen und den Staat nicht bei seiner Geldverschwendung unterstützen. Ich nahm die genannten Beträge, die ich nicht besaß, niemals besessen habe und auch nicht auftreiben konnte, ohne mit der Wimper zu zucken, gleichsam wie eine nebensächliche Lappalie zur Kenntnis. Höchstes Interesse heuchelnd, quasi nur mehr unsicher wegen meines überfüllten Terminkalenders. Mit »Sie wissen ja, Herr Professor, viele gesellschaftliche Verpflichtungen und dann die Reisen! Ach, wie ermüdet das alles!«, verabschiedete ich mich als Dame von Welt. Die Frau des Arztes, mindestens zwanzig Jahre jünger als er selbst, mit einer zeitlos glatten, maskenhaften Physiognomie, bei der das
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