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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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grauen Alltags abzuschütteln, jeden Morgen ihre Gedanken zu Papier bringe. »Du kannst dir alles ausdenken, alles erfinden, du hast keine Grenzen«, meinte sie zu ihren geheimen Tiraden, in denen sie, wie sie zugab, mit ihrem ältlichen Mann abrechnete, sich über die zwei missratenen Kinder, die abwechselnd arbeitslos, auf Jobsuche oder in »Auszeit« waren, ausließ und ihr frustrierendes Hausfrauendasein ohne eigenes Geld beklagte.
    Das gab mir zu denken. Soll ich vielleicht auch zu schreiben beginnen?, überlegte ich mir an einem Samstagmorgen, als ich wieder einmal in meinem geliebten Kaffeehaus saß. Immer am Wochenende ließ ich den mürrischen Poldi – er verachtete es aus Kostengründen, außer Haus zu frühstücken – daheim zurück, um im Dommayer die erste Mahlzeit des Tages zu genießen. Dort war es am Morgen, inmitten weniger, in stiller, fast sakraler Atmosphäre über die Tageszeitungen gebeugten Gäste besonders schön. Alle kannten einander schon seit Jahren, und Standesunterschiede spielten keine Rolle: Der pensionierte Politiker saß neben einer Historikerin, der Hausverwalter neben einem ehemaligen Flugkapitän. Eine dicke Hausmeisterin äußerte sich gerne mit schnarrender Stimme. Selbst unseren in Hietzing beheimateten Ex-Bundeskanzler hatte sein Weg nach der Niederlegung seines schweren Amtes wie selbstverständlich ins »Domi« geführt. Er bestellte sich zwei Eier im Glas, ein Schnittlauchbrot und einen Kaffee und blühte sichtlich auf.
    Nach langem Grübeln beschloss ich, den Versuch zu wagen. Ich würde es Mizzi gleichtun und meine Gedanken dem, wie man so sagt, geduldigen Papier anvertrauen. Hatte ich nicht schon in der Schule gute und originelle Aufsätze geschrieben? Oft hatte die Deutschlehrerin sie der Klasse vorgelesen und als Mus terbeispiel gepriesen: »Warum bemüht ihr euch nicht wie Hermine?«
    Im Vertrauen auf meine jugendlichen Mini-Erfolge kreierte ich sogleich ein verlockendes Szenario. Ich sah mich schon als Schriftstellerin in einer von mir geschaffenen Welt, in der ich die Gesetze diktierte und zugleich meine Seele befreite. Vielleicht – wer konnte das wissen – würde ich sogar berühmt werden? Oh, wie mich das reizte! Ich könnte meine tollsten Fantasien walten und schweifen lassen, in verborgene Regionen eindringen, die ich sonst nicht zu betreten wagte.
    Tags darauf, als sich Mizzi am späten Nachmittag nach einem anstrengenden Tag in der Bank zum Kaffee bei mir einfand, erzählte ich ihr von meinen schriftstellerischen Plänen. Mit »Ja, warum schreibst denn net an Krimi?« traf sie bei mir einen offenen Nerv. Fast verschlug es mir den Atem, aufgeregt ging ich unverzüglich ans Werk. Könnten die »Badewannenmorde« nicht als Vorlage dienen und das Thema meines kriminalistischen Erstlingsromans sein? Der Mörder sollte allerdings eine Frau sein und – natürlich – Angelika heißen. Ich überlegte lange hin und her. War das nicht zu direkt? Der Name Angelika, den ich mir voll Bosheit wählte, war der für eine Mörderin überhaupt passend? Sinnend legte ich mehrmals die Füllfeder aus der Hand, bevor ich mich schließlich doch in die ehrenwerte Zunft der Schreiberlinge einreihte. Zwei Wochen später hatte ich nicht nur einen groben Entwurf fertiggestellt, sondern auch die ersten Seiten meines Krimis geschrieben. Stolz präsentierte ich Poldi die Früchte meines Geistes.
    Während ich wie fast jeden Abend pünktlich um 19 Uhr den Tisch im Wohnzimmer für das warme Essen deckte, fragte ich leicht verlegen: »Darf ich dir etwas vorlesen? Nur ganz kurz! Und du sagst mir dazu, ganz ehrlich, was du denkst!« Ich tat dies nicht etwa, weil ich Poldi als Experte schätzte oder mir an seiner Meinung auch nur das Geringste lag. Es ging mir darum, etwaigen späteren Diskussionen vorzubeugen. »Du weißt, ich habe mir schon immer gewünscht, einen Krimi zu schreiben, mich aber nie getraut. Jetzt habe ich mich dazu aufgerafft. Stell dir vor, ich glaube, es macht mir wirklich Freude. Das ist der Anfang.« Stockend begann ich mit dem Vortrag des kurzen Manuskripts.
    »Es war ein Kinderspiel. Angelika richtet sich auf, erleichtert und froh, dass sie sich einen lang gehegten, insgeheim genährten Wunsch auf derart einfache Weise hat erfüllen können. Ein stummes Lachen erschüttert ihren Körper. Etwas nass geworden, trocknet sie sich sorgfältig die Hände, um sich dann im Spiegel des Badezimmers zu betrachten. Hinterlässt die Tat vielleicht Spuren,

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