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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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und sowohl den Gips am Bein als auch den am Arm hinausstreckst, damit nichts nass wird, geht es schon. Pass nur auf, dass du nicht ausrutschst!« Ich assistierte gerne, ließ häufig warmes Wasser nachlaufen und beobachtete, wie sich mein Mann trotz der notwendigen Verrenkungen vollkommen entspannte und vor Behagen seufzte.
    Von da an nahm Poldi mit meiner Hilfe täglich wohltuende Bäder, wobei er akrobatische Fähigkeiten – man könnte auch sagen, die Geschicklichkeit eines Affen – entwickelte, die ich ihm als dicken Menschen nicht zugetraut hätte. Sein fetter, von dünnen Bein chen getragener Körper, der kugelförmig gewölbte Bauch, die mageren Schultern und seine schütteren, schweißnassen, zwecks Verbergung einer sich rapide vergrößernden Glatze kunstvoll auf dem Kopf drapier ten recht langen Haare boten keinen schönen Anblick. Die kleine Narbe an seiner Stirn, die er sich beim ungelenken Stutzen seiner buschigen Augenbrauen zu gefügt hatte, leuchtete tiefrot. »Ah, das tut gut! Wasser, warmes Wasser!«, seufzte der arme Hässliche, bevor ich ihn mit größter Anstrengung sozusagen wieder an Land zog. Eine Prozedur, die mir bald unerträgliche Kreuzschmerzen eintrug.
    Nachdem dieses Ritual schon einige Zeit stattfand, besorgte ich mir einen »Ratgeber für den Todesfall. Servicefaden für schwierige Stunden«, den die im Eigentum der Gemeinde stehende »Bestattung Wien« auf Verlangen gratis zusandte. Zu seinem großen Bedauern hatte das Unternehmen aufgrund eines Gesetzes über unlauteren Wettbewerb das Monopol auf die Verstorbenen verloren, befand sich seither in harter Konkurrenz mit privaten, überaus agilen Instituten wie »Charon«, »Pax«, »Vita Eterna« oder »Zum Licht« und suchte mit allen Mitteln den rapiden Kundenschwund aufzuhalten.
    Zu diesem Zweck hatte man auch einen Gag der besonderen Art ersonnen, auf den der Prospekt mit der Bitte um Vormerkung des Termins hinwies. Es handelte sich um die einmal im Jahr von der städtischen Sargfabrik veranstalteten makabren »Nacht im Jenseits«. Alle potenziellen Kunden – und wer zählte nicht dazu? – waren herzlich eingeladen. Man konnte die Werkstätten besichtigen, die angepriesenen Erzeugnisse überprüfen: »Probieren Sie doch, wie man sich in einem Sarg fühlt!« Die Veranstaltung fand, wie ich las, stets großen Zuspruch. Alles war da für die den echten Wienern so wichtige »schöne Leich«. Hunderte Ausstellungsstücke dokumentierten die Geschichte der Bestattung, der einstigen »Pompfüneberer«. Man konn te einen mehrfach verwendbaren »Sparsarg« bestaunen, den Rettungswecker für Scheintote ausprobieren und in einem praktischen »Sitzsarg« Platz nehmen. Für alkoholische Getränke war gesorgt. Ihr reichlicher Konsum sollte die nüchterne Atmosphäre der Industriehallen auflockern und etwaige trübe Gedanken an die unvermeidliche Zukunft verscheuchen. Zu fortgeschrittener Stunde forderte man zum »Probeliegen« auf. Es dauerte eine Weile, bis die ersten Mutigen ihre Scheu überwanden. Dann jedoch bestiegen sie die Särge, wo sie sich unter allgemeinem Gelächter der Zuschauer räkelten, die Hände falteten, fromme Tote mimten und dem Treiben den burlesken Charakter eines Volksfestes verliehen. Sozusagen ein »Jedermann« für kleine Leute. Nur ein beamtetes Gehirn kommt auf eine derartig geschmacklose Idee!, dachte ich. Wie kann man das lustig finden? Der bloße Gedanke, mit einem Glas Wein durch die Reihen der aufgestellten Särge zu gehen, jagte mir kalte Schauer über den Rücken. Selbst an einen traditionellen »Leichenschmaus« war gedacht. Um 20 Uhr sprach ein Geistlicher das Tischgebet, dann begann ein Gelage, das die ganze Nacht anhielt.
    Abgesehen von der Einladung zu dem in meinen Augen widerlichen Spektakel enthielt der Ratgeber jedoch viele wichtige Informationen über die Abwicklung eines Todesfalls. Die Menge der vom Dahingeschiedenen geforderten Dokumente verblüffte mich. Wozu musste denn ein Toter seine Geburt beweisen? Staatsbürgerschafts- und Heiratsurkunde, Meldezettel und – ein österreichisches Phänomen – bei Akademi kern den Nachweis über die Berechtigung zur Führung des akademischen Grads: Der Weg ins Jenseits war mit Identitätspapieren gepflastert. Gab es vielleicht in logischer Fortsetzung des irdischen Bürokrams ein extra terrestrisches Abkommen, das den Eintritt in Himmel, Hölle oder Fegefeuer genau regelte? »Greifen Sie auf die Dokumentenmappe zurück«, lautete ein guter

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