Leichenroulette - Roman
»Wirklich nicht schlecht. Man kann dem Gedicht eine gewisse Originalität nicht absprechen!«
Trauer stieg in mir auf, und ich begann still zu weinen. »Findet ihr es denn nicht lustig? Es ist doch ein literarischer Scherz!«, fragte Poldi verwirrt. »Das tut mir leid, das wollte ich nicht.« – »Halt endlich den Mund«, fiel ihm meine Schwiegermutter ins Wort, als er Atem holte, um zu weiteren Erklärungen anzusetzen. Beim anschließenden Essen herrschte Grabesstille, früh gingen wir nach Hause.
Bald sah ich, wie Poldis Blicke erneut voll Bösartigkeit auf unserem Kater ruhten. Mir schwante nichts Gutes. Schließlich reduzierte sich die Situation für mich auf eine simple Frage: »Poldi oder Murli?« Eine winzige Kleinigkeit entschied das Dilemma und brachte das Fass des Leopold zum Überlaufen.
An einem späten Nachmittag hinkte mein Mann nach einem kurzen Spaziergang – der Arzt hatte ihm Bewegung verordnet – heim in unsere Siedlung. Vielleicht gedachte er der niederen mittelalterlichen Adelsgeschlechter, vielleicht bewunderte er auch die Weihnachtsdekoration in unserer Gasse, die in diesem Jahr besonders üppig ausgefallen war, auf jeden Fall tappte Leopold in die vom Schnee nur dürftig bedeckten Exkremente der Hunde, die sich vor unserem Haus in großer Zahl erleichterten. Selbst ihn musste der bestialische Geruch an seinen Sohlen gestört haben, denn er begab sich schuldbewusst in die Küche, wo er seine Schuhe sorgfältig über dem sauberen, bereits trockenen Geschirr im Spülbecken putzte. Ermattet von der ungewohnten physischen Anstrengung, gönnte er sich dann zur Stärkung ein Stamperl Eierlikör, das er, mühsam in der linken Hand balancierend, in den ersten Stock trug, wobei es aus dem randvoll gefüllten Glas auf jede einzelne Stufe der mit einem Teppichboden bedeckten Stiege tropfte.
»Es ist genug«, dachte ich mir, als ich nach einem anstrengenden Arbeitstag, ermüdet und mit Einkäufen bepackt, nach Hause kam und die stinkende Bescherung in der Küche sowie die klebrigen Spuren im Stiegenhaus sah, an denen ein leicht betrunkener, schwan kender Murli mit Wonne herumschleckte, während sich ihm ein lautes, behagliches Schnurren entrang. »Es ist genug! So kann es nicht weitergehen«, entrang sich mir, als ich den Stapel von Tellern nochmals säuberte. Während ich meine Hände in die Sodalauge tauchte – herkömmliche Geschirrspülmittel erlaubte mein Gatte nicht –, schimpfte ich vor mich hin: »Fix Teufel noch einmal, warum können wir nicht, wie alle anderen Leute auch, einen Geschirrspüler kaufen?« Poldis Argumente, dass derartige Küchenhilfen nicht nur Stromfresser, sondern aufgrund der giftigen Spül mittel umweltschädigend seien, fand ich lächerlich – eine absurde Marotte, der ich mich nur unwillig unterwarf und die mir den Spott meiner Freundinnen eintrug, die über glänzend sauberes Geschirr verfügten. Beim Schrubben des Teppichs auf den Treppenstufen machten sich ketzerische Überlegungen in mir breit: »Ist nicht mein Ehegespons schuld an meiner Misere? Wäre ich nicht ohne ihn besser dran? Könnte ich dann nicht ein frohes, heiteres und freies Leben führen? Und dieses nicht aus zweiter, dritter Hand aus Illustrierten beziehen? Für Kinder ist es leider zu spät, um aufregende Männer kennenzulernen, nicht. Mit 50 tatsächlichen und 44 eingestandenen Jahren ist man heutzutage doch nicht alt.«
Lange drehte ich meine Gedanken hin und her, schmiedete Pläne und beobachtete Leopold, der mir täglich widerlicher wurde, genau. Dann traf ich sorg fältige Maßnahmen, wobei ich mit Methode vorging.
Dabei erwies es sich als überaus opportun, ja, wie von der gütigen Vorhersehung bestimmt, dass mein Mann immer eindringlicher klagte: »Baden, ich möchte endlich baden!« Das leuchtete mir ein, denn seit seinem Unfall hatte er nur oberflächliche Waschungen erfahren. »Merkst du nicht, wie ich stinke? Mir graust vor mir selbst.« Schließlich gab ich Poldis Drängen nach. Schon lange hatte er, der warme Vollbäder sehr liebte und sich gern in unserer kleinen Wanne räkelte, diesen Luxus entbehren müssen. Als ich ihn zu wiederholten Malen, seine Verbände zum Schutz gegen Feuchtigkeit notdürftig in Plastiksäcke gehüllt, umständlich in die Dusche steigen sah, wo er, an die Brause geklammert, nur labilen Halt fand, heuchelte ich Mitleid und machte einen konstruktiven Vorschlag: »Wenn du dich seitwärts an den Wannenrand setzt, dich in das Wasser gleiten lässt
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