Leichenroulette - Roman
der Badewanne räkelt. Lässt vielleicht etwas warmes Wasser ein. Spricht freundliche Worte, erzählt Alltägliches, scherzt ein wenig. Um dann dem ahnungslos das Vergnügen eines Vollbades Genießenden die Füße anzuheben und diese ganz plötzlich über den unteren Rand der Wanne hinwegzuziehen. Dadurch gleitet der Oberkörper des Opfers zwangsläufig unter Wasser, dessen jähes Eindringen in Nase und Mund einen Schock mit sofortigem Bewusstseinsverlust verursacht. Gegenwehr ist, so unglaublich das auch klingt, praktisch ausgeschlossen. Ohne Anzeichen von Gewaltanwendung erleidet der Attackierte innerhalb von Minuten den Erstickungstod. Gerichtsmedizinische Untersuchungen bestätigten diese Art des Ertrinkens, besser gesagt des Ertränkens. Wie ich bezeugen konnte, stimmte das alles mit meiner eigenen Erfahrung überein. Eine leichte Prozedur, die man nur jedermann empfehlen kann!
Allerdings hatte ich den wissenschaftlichen Fortschritt seit 1915 berücksichtigt und auch den jüngsten Streit um den Weiterbestand der Gerichtsmedizin genauestens verfolgt. »Es ist Verschwendung, in Österreich fünf derartige Institute zu unterhalten«, schrieben die Zeitungen. Und der Rechnungshof der Republik hatte bei einer Finanzkontrolle bemängelt: »Der Bauzustand der Wiener Gerichtsmedizin ist skandalös.« In Wien trug man der Kritik Rechnung, senkte aus Kostengründen drastisch die Zahl der – bei Verdacht auf Verbrechen – behördlich angeordneten Obduktionen, schloss das uralte, aus dem 18. Jahrhundert stammende, baufällige Gerichtsmedizinische Institut, in dem – wie man munkelte – des Öfteren Ratten gesichtet worden waren, und verteilte die Leichen auf vier dafür nur schlecht ausgerüstete und infolge der Zwangsbeglückung nur wenig kooperative Spitäler.
Die Empörung der Mediziner blieb nicht aus: »Früher gab es 750 Obduktionen pro Halbjahr, jetzt sind es nur mehr 60! So lässt sich keine vernünftige Todesursachenstatistik mehr erstellen!« Dies hatte mir, wie vermutlich allen, die gewisse Absichten hegten, sehr lieblich in den Ohren geklungen, war aber in der Öffentlichkeit vollkommen ungehört verhallt, denn die Mehrzahl der Bürger interessierte dieses Thema ja nicht.
Obwohl man also in entgegenkommender Weise das Risiko der Feststellung der genauen Todesursache auf ein Minimum reduziert hatte, empfahl es sich trotzdem, jeden Anschein eines Verbrechens tunlichst zu vermeiden. Doch wer sollte beim Anblick eines friedlichen toten Gipsträgers, eines Säufers, dem der Alkohol zum Verhängnis geworden war, Verdacht schöpfen? Wer hätte über jene riesigen Kräfte verfügt, die nötig waren, um die fast hundert Kilogramm des Dr. Leopold E. unter Wasser zu drücken? Und warum sollte dies jemand dem harmlosen Historiker antun wollen? Wer hätte dazu ein Motiv besessen? O nein, der Arme war nach zu viel Schnapsgenuss einfach mit seinem unversehrten Bein ausgerutscht, hatte das Gleichgewicht in dem mit glitschigem Badeöl angereicherten Wasser verloren, sich vielleicht den Kopf leicht angeschlagen und war schließlich, benommen durch seinen Rausch, im »Dusel« hilflos im Wasser ertrunken. Ein schöner Tod. Das halb volle Glas neben der Schnapsflasche auf dem Boden des Badezimmers sprach eine mehr als deutliche Sprache!
Ermittlungen im Meidlinger Unfallkrankenhaus konnten den Eindruck nur verstärken. Enthielt doch die ausführliche Akte des Dr. E. die kleine, aber wichtige Notiz, dass der Patient schon einmal nach einem Alkoholexzess verunglückt und in volltrunkenem Zustand in das Spital eingeliefert worden war. Außerdem rechnete ich damit, dass die überlasteten Krankenhäuser nicht gerade am Sonntag nach zeitaufwändigen Obduktionen gierten. Sehr intelligente Überlegungen, nicht wahr? Und dies, obwohl mein seliger Mann des Öfteren beleidigend zu mir gesagt hatte: »Dein Gehirn ist quasi unbenutzt!«
Im Anschluss an die unangenehmen, aber unausweichlichen Ereignisse zog ich mich an und verließ das Haus, um Mizzi, wie ich es ihr einige Tage zuvor versprochen hatte, Kochrezepte und Zeitschriften vorbeizubringen. »Dank dir«, meinte Mizzi. »Du bist a Schatz. Aber a bisserl blass bist. Es war doch net so dringend. Hätt je net heut sein müssen.«
Damit irrte sie natürlich. Ich blieb nur kurz, ging bald nach Hause und bereitete mich zum Schlafengehen vor.
Meine Tat hatte sich als einfach entpuppt – sie ließ mich aber trotzdem sehr müde zurück. Ich beschloss, mich hinzulegen und alles
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