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Leichenroulette - Roman

Leichenroulette - Roman

Titel: Leichenroulette - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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wunderte sich Gitta. »Na ja, man erlebt schon einiges. Ich hab sie jedenfalls nicht enttäuscht. Solln’s glauben, was sie wolln«, meinte Heidi lakonisch. »Nur wann’s immer wieder Austria mit Australia verwechsln, werd i wüid. I trag jetzt oft a Leiberl mit der Aufschrift ›There are no kangaroos in Austria‹. Ob’s a derartige Subtilität verstehn, waas i net.«
    Beim Verlassen des Roten Salons betrachteten wir noch das Bild der legendären zigarrenrauchenden Anna Sacher, deren eisernes Regime im 19. Jahrhundert den Ruhm des Hauses begründete. Wir gingen durch die kleine Galerie, in der Unmengen signierter Fotos und Aquarelle eine glanzvolle Vergangenheit dokumentierten. Prominente aller Gesellschaftsschichten, die während der letzten 120 Jahre das »Sacher« beehrten, hatten voll Dankbarkeit persönliche, oft schwülstige Widmungen verfasst. Darunter waren habsburgische Erzherzöge, die oftmals in Damenbegleitung, diskret in den kleinen, intimen – inzwischen aufgelassenen – Separees gespeist hatten, Adelige aus allen Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie, Politiker und weltberühmte Künstler. Vom Portier höflich verabschie det, traten wir beschwingt den Heimweg an – Mizzi und ich, im Hinblick auf die Noblesse des Hauses, voll Zurückhaltung sogar ohne die üblichen Souvenirs. Nicht einmal einen der kleinen, zierlichen Sacher-Aschenbecher nahmen wir mit!
    Kurz darauf brachte ich Schwung und Unterhaltung in unsere Siedlung – ich veranstaltete die von mir schon lange geplante, aber bislang von Poldi verhinderte »Schneckenolympiade«. Die Regeln waren ganz einfach. Jeder Teilnehmer bekam einen Kübel, ließ die Größe seines Gartens beim Schriftführer registrieren und begab sich nach dem Anpfiff in der Dämmerung auf Schneckenjagd. Ein weiterer Pfiff nach vierzig Minuten beendete die emsige Sammeltätigkeit. Stichproben des mit Gummihandschuhen ausgestatteten Obmanns unseres Siedlungsvereins überprüften die korrekten Angaben der Teilnehmer.
    Schließlich stand der Sieger fest. Es war Helmut Widder, der in einem Kopf-an-Kopf-Rennen tatsächlich 187 der Undinger aufgelesen hatte. Ein kleines Mädchen überreichte ihm den 1. Preis: eine große, blau schimmernde Keramikschnecke und einen Gutschein für ein Essen in einem auf Weinbergschnecken spezialisierten Haubenlokal. Der Obmann schickte sich gerade an, Herrn Widder zu gratulieren, als sich ein kleiner rothaariger Bursche vordrängte: »Opfeschoin! Opfeschoin!« – »Sag, siehst net, dass du störst? Was willst denn? Und red ordentlich!«, wies ihn der Gratulant brüsk zurecht. »Herr Obmann, er hat in der Früh Apfelschalen g’streut!«, rang sich der Zurechtgewiesene in mühevollem Hochdeutsch ab. »Wer, was?« – »Na, der Herr Widder, heut in der Früh. Ich hab’s g’sehn. Des fressen die Schnecken gern! Es lockt sie an!« – »Oho, wenn das wahr ist, wäre das ja unlauterer Wettbewerb. Stimmt das, Herr Widder?« Den Angesprochenen, der verlegen zu Boden blickte, verriet die Schamesröte, die sein Gesicht verfärbte. Schließlich wurde er disqualifiziert, und Alfred Horvath – mit 175 gefangenen Schnecken an zweiter Stelle – wurde zum Sieger gekürt.
    Die kleine Panne mit Widder sorgte zwar für lautstarke Empörung, störte aber unsere gute Laune nicht nachhaltig. Mit einem lustigen Umtrunk und dem Verzehr vieler Schmalzbrote klang die »1. Bierhäusler Schneckenolympiade« aus. Einem allgemeinen Wunsch zufolge wählten wir gleich das Personenkomitee zur Organisation der Rallye im darauffolgenden Jahr.
    Als ich Poldi wenig später pflichtschuldigst in seiner »Rehab« aufsuchte, kam er mir bereits wie ein seltsames Wesen von einem fremden Stern vor. In dem befreienden Bewusstsein, ihn in dem muffig riechenden, da kaum gelüfteten Heim mit Ostblockflair zurücklassen zu können, wo graugrüne Kunststoffböden die düsteren Gänge bedeckten, billige Waschmittel einen unangenehmen Geruch verbreiteten und harsche, ungeduldige Pfleger die Patienten herumscheuchten, ertrug ich geduldig seine mit weinerlicher Stimme vorgetragenen Tiraden. Das Billigste schien dem Heim zu genügen, denn wir saßen auf klapprigen Sesseln an einem kleinen, wackeligen Tischchen in der für Besu cher reservierten, zugigen und nur schwach beleuchte ten Ecke des Ganges. Ich sehnte mich nach dem Sacher. »Wirklich schrecklich«, kommentierte ich, automatisch und ohne richtig hinzuhören, Poldis Erzählungen, die Klagen über seine

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