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Leichensache

Leichensache

Titel: Leichensache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Horst
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Schlaufe. Die Ampel ist rot, die Bahn fährt durch.
    Sie ist so still. Habe ich irgendwas gesagt, was Falsches? Sie blickt herüber, lächelt. Ihr rechter Zeigefinger spielt mit einer Strähne, rollt Locken auf, lässt sie wieder los.
    Meine Güte, was für ’ne Rotphase. Die Digitalanzeige über der Apotheke gegenüber zeigt 00 Uhr 53, dann 18 Grad, 00 Uhr 53. Grün.
    »Bist du müde?«
    »Nh, nh«, sie schüttelt den Kopf, »nur etwas träge so nach dem Essen und dem Wein.« Sie drückt nacheinander die einzelnen Sender durch, nichts Vernünftiges, fast überall nur müde Nachtprogramme und Rock ’n’ Roll.
    »Hast du keine Kassetten?«
    »Wenn, dann vorne im Handschuhfach.«
    Sie sucht im Dunkeln, findet eine alte BASF.
    »Das ist ’ne uralte. Ich glaube sogar, da ist Klassik drauf.«
    Sie steckt sie rein. Mmmh Mozart. Sie lässt es laufen, lehnt sich zurück.
    »Hört sich schön an.«
    »Ist das Klarinettenkonzert A-Dur.« Mit Kunst protzen kommt immer gut.
    »Ja. Der zweite Satz ist der schönste.« Sie lächelt überlegen. War das jetzt gespielt? Sie schubst leicht mit der Linken.
    »Wenn die Deutschen nichts von türkischer Kultur verstehen, muss das umgekehrt bei den Türken ja nicht auch so sein.«
    Wie meint die das denn jetzt?
    »Hey, war das jetzt ’ne echte Breitseite?« Schulterzucken, koketter, freundlicher Blick.
    »Ist doch wahr. Kennst du ’nen türkischen Komponisten?«
    Pause. Scherzen? »Äh, Kemal Izmir.«
    »Ja, ja, Kemal Izmir. Alles klar.« Sie lacht hell. Wunderbare frauliche Stimme.
    »Könnte doch sein.«
    »So ist das mit den Deutschen: Nach Mozart, Beethoven und Goethe kommt nichts mehr, schon gar nicht bei den anderen. Da bist du auch nicht viel anders.« Pause. »Aber ganz lieb.«
    Schwer zu begreifen, die Frau. Aber das »ganz lieb« ist doch wohl eindeutig, oder?
    »Vorhin beim Essen hast du noch über die Türken geschimpft …«
    Sie lässt sich Zeit, sieht nach unten.
    »Ich hänge nur scheinbar dazwischen. Auch wenn ich viel dran auszusetzen habe, an der Enge und der Unfreiheit, und mich dagegen wehre, bin ich doch Türkin, oder eben eine indische Türkin. Durch das ewige Reisen mit meinem Vater habe ich zwar viel anderes kennen gelernt, aber vieles von dieser Kultur ist in mir.« Kleine Pause. »Und ich liebe es. Und ich glaube, nur sehr wenige können das verstehen.« Sie lächelt.
    Auf dem Bürgersteig neben dem Grünstreifen geht eine Frau mit ihrem Hund. Jogginghose, weiße Socken. Der Hund wühlt in den Rabatten.
    Kapier ich nie, die türkischen Frauen. Dass die sich nicht wehren.
    »Ja, kann sein. Es ist aber auch schon sehr viel anders. Ich war mal in Marokko, so mit zwanzig, aber richtig mittendrin, Fez, Meknes und so. Das war schon anders. Richtig fremd.«
    Ein Manta und ein Golf überholen rechts mit mindestens 120.
    »Am furchtbarsten fand ich damals, wie die ihre Frauen behandeln. Dass die das so lange mitmachen, das versteh ich nicht.«
    Sie kichert. »Ein europäischer Mann will islamische Frauen verstehen …«
    »Ist ja schon gut, bin ich eben der Depp.«
    Sie legt den Kopf an die Kopfstütze, sieht rüber, tätschelt mit dem Handrücken den Oberarm.
    »Nicht böse sein. Aber im Ernst. Das wird sich, glaub ich, erst ändern, wenn die Türken sich hier voll integriert haben. Von der anderen Seite kommt da nichts. Das war bei den Amis auch nicht anders.« Die Klarinette ist einfach wunderschön, klingt aber immer leicht neben dem Ton.
    Seners Leuchtschrift ist schon aus. Unter den Kastanien auf dem Parkstreifen ist es nicht so hell. Motor aus, sie dreht die Musik etwas leiser, sieht rüber.
    »Danke für den schönen Abend. Und das Essen.«
    »Danke für den schönen Abend.«
    Sie legt den Kopf seitlich an die Kopfstütze, lächelt.
    »Tja.«
    »Tja.«
    Verdammt, was bedeutet das jetzt? Soll ich? Ein deutscher Mann will islamische Frauen verstehen.
    »Dann schlaf man gut.«
    »Wird schon klappen.« Sie bewegt sich nicht. »Schlaf du auch gut.« Oh, Mann.
    »Weiß ja auch nicht. So ganz ohne Gute-Nacht-Kuss.«
    Sie lacht, ihre Zähne sind zu sehen.
    »Gute-Nacht – Kuss, so so.«
    Etwas näher ran. Sie kommt entgegen.
    »Ich kann sonst nicht schlafen, die ganze Nacht nicht.«
    Aber nur kurz, nicht lange, nicht zu aufdringlich. Sie kommt näher, die Lippen schmecken nach Labello. Das Licht von draußen glänzt in ihren Augen.
    »Wenn das Onkel Sener wüsste. Der würde schimpfen.«
    »Du kennst Onkel Sener nicht.«
    Ihre Hand auf der Wange fühlt sich warm

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