Leichensache
Computerausdrucke. »Wie ihr seht, sind alle Personen aufgeführt, die in den Wohnungen gemeldet sind. Die Männer im gefragten Alter sind farblich herausgehoben, die mit Akte haben einen zusätzlichen Haken. Der jeweilige Inpolausdruck ist dahinter geheftet. Diese werden zeugenschaftlich zu ihrem Aufenthalt zur Tatzeit befragt, wenn es geht, natürlich mit Zeugen.
In jeder Wohnung und in jedem Briefkasten wird dieser Handzettel hinterlegt. Wir haben ihn in drei Ausführungen. Russisch, türkisch und deutsch …«
»… tja, mit deutsch allein bist du in Deutschland heute echt aufgeschmissen«, Schmidt mit Leidensmiene. Besser nichts dazu sagen.
»Bei Personen, die Ähnlichkeit mit dem Fahndungsfoto haben, machen wir ein Polaroidfoto. Der Kollege von der Münsteraner Fotostelle ist in zehn Minuten hier und hat sich dankenswerterweise bereit erklärt, hier bei Ulla abrufbar zu sein.«
»Für die Aktenführung wäre es sehr erleichternd«, Ulla hält eine Kopie hoch, »wenn ihr die Abfrage sehr knapp und nach Reihenfolge abarbeiten könntet, natürlich nur da, wo es möglich ist. Ich habe ein Formblatt beigeheftet.«
»Noch etwas von mir: Wenn euch irgendwelche Aussagen schief vorkommen, ruhig auch mal beim Nachbarn einen ersten kurzen Abgleich vornehmen, ob das so stimmen könnte. Aber wem sage ich das?« Überlegenes Lächeln in einigen Gesichtern. Stille.
»Noch Fragen?« Kopfschütteln. »Dann ab dafür.«
Sie gehen.
20 Uhr 05
Die Tür zum Treppenhaus im zweiten Block ist nicht mehr zu verschließen. Geteilte Drahtglasscheibe, in der unteren Hälfte in Kniehöhe eine runde Bruchstelle, weiße, zackige Risse laufen in alle Richtungen. Sieht aus wie ein Straßenbahnplan. Im Flur riecht es dumpf nach Kochen.
»Fangen wir diesmal oben an?« Heike zieht hörbar die Luft durch die Nase ein, lehnt sich zur Seite übers Treppengeländer, sieht nach oben durch die Gitterspirale. »Vielleicht stinkt es oben ja weniger.«
»Keine Sorge, da ist es immer am schlimmsten.«
Treppenstufen aus Beton, mit Metallkante. Im Erdgeschoss viel Graffiti, viel Geschmiere, ein gelbroter Igel in Augenhöhe. Der sieht gut aus, aggressives Gesicht. Ab dem zweiten Stock sind die Bilder dünner gesät, hin und wieder ein Spruch. Viktor ist ein Arschficker, igelgelb übersprüht, aber noch leserlich. Im vierten Stock keine Sprüche mehr, dafür Fußabdrücke an den Wänden bis über Kopfhöhe und Wischer von Bällen.
»Zuerst bei Flugfelder?«
Heike nimmt ihren Block, sieht nach, nickt.
»Unser Eugen wohnt hier, 79 in Kasachstan geboren, schauen wir ihn uns mal an. Keine Akte.«
Die Türglocke klingt hell blechern, drinnen Poltern, eine Frauenstimme schimpft russisch, Kinderplärren. Die Tür öffnet sich einen Spalt, eine Frau mit Piratenkopftuch, gemusterter Kittel, geblümte Hausschuhe, die Verschlusskette in Nasenhöhe.
»Ja, bitte?«, in gebrochenem Deutsch.
»Kirchenberg, Kriminalpolizei. Das ist meine Kollegin Lühsi.« Sie blickt kurz und unsicher auf den Ausweis, nickt.
»Sie sind Frau Flugfelder, ja? Und Eugen Flugfelder ist Ihr Sohn?«
»Ja, der Eugen«, sie nickt wieder und sagt zwei Sätze auf Russisch.
»Wir hätten ein paar Fragen, Frau Flugfelder, können wir einen Augenblick reinkommen?«
Sie zieht die Stirn kraus, die Augen wandern von einem zum andern, sie öffnet die Tür. Im Wohnungsflur ist es sehr warm. Süß-scharfer Essensgeruch. Die Lampe in Form einer venezianischen Gondel hängt zu tief, an der rechten Seite des Flurs fünf Paar aufgereihte Schuhe, davon zwei Paar Kinderschuhe. Ein Kind im Unterhemd watschelt zurück ins Zimmer, ernstes Gesicht.
»Frau Flugfelder, ist Ihr Sohn Eugen zu sprechen? Er könnte uns eventuell in einer Ermittlungssache weiterhelfen.«
»Was ist mit Eugen? Hat wieder was gemacht?«
»Nein, das wissen wir nicht, vermutlich nicht. Ist er zu Hause?«
»Ja.« Sie geht zu einer Tür, öffnet sie, ruft einen russischen Namen. Eugen kommt heraus, ärmelloses T-Shirt, schulterlange dunkle Haare. Das war es dann. Enttäuschter Blick von Heike.
»Sie sind Eugen Flugfelder?« Er nickt.
»Ja, was ist los?« Aggressiver Ton, er stützt die Hände auf die Hüftknochen.
»Kirchenberg, Kripo. Herr Flugfelder, wir ermitteln in einer Mordsache, in der eine wichtige Spur hier in diese Siedlung führt. Wir hätten von Ihnen gern gewusst, wo Sie am letzten Dienstagabend waren?« Kurzes Zögern.
»Mordsache? Was für eine Mordsache?«
»Zuerst möchten wir wissen, wo Sie am letzten
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