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Leichensache

Leichensache

Titel: Leichensache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Horst
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Runde.
    »Hier ist die Adresse und die Wegbeschreibung zu dem Hotel, das Schwegler uns besorgt hat. Wir können ja alle zusammen fahren.« Fragender Blick.
    Ne, ne. Eine Stunde brauch ich noch. Wenigstens die Alibis einmal durchgehen.
    »Lasst mir einen Wagen da, ich muss noch etwas lesen. Ich will wenigstens einen Überblick haben. Wenn man selber mit draußen ist, kriegt man nur die Hälfte mit.«
    Der Kadettschlüssel fliegt auf die Schreibunterlage. Ulla schüttelt den Kopf. Die anderen packen ihre Sachen, kurze Grüße. Die Tür fällt ins Schloss, draußen werden die Stimmen leiser.
    Eine Ganzaufnahme bei den Polaroidfotos, der Rest zeigt Brustbilder. Ist er vielleicht doch am Blick zu erkennen? Vielleicht hatte Lombroso damals doch Recht. Stechende Augen – Sittenstrolch.
    Draußen hält ein Auto, der Motor läuft weiter. Helles Lachen, die Tür fällt ins Schloss, Abfahrt.
    Die beiden rechts sind vom Typ her dem Phantombild schon sehr ähnlich.
    Erst mal die Leute mit den Vorstrafen anschauen. Die Rückenlehne von Ullas Stuhl drückt stramm ins Kreuz, der Aschenbecher ist voll, eine Kippe ist ausgeglüht, 3 cm lange Asche.
    Die Vorstrafen liegen auf dem linken Stapel. Also los.

DIENSTAG
    5 Uhr 53
    Und um dieses tägliche Öffnen geht es. Das Öffnen des Herzens, das Jasagen zu diesem Angebot. Wenn wir uns das tägliche Leiden in den mitunter entsetzlichen Bildern unserer Medien ansehen, wenn manchen unter Ihnen das zu viel der Grausamkeiten ist, wenn Sie an den Zeiten verzagen, nehmen Sie das Angebot an. Das Angebot, zu ihm zu kommen mit voller Hingabe und von ganzer Seele. Jetzt, da wir an den Abenden schon deutlicher spüren, wie die Dunkelheit ihre Finger wieder früher nach dem Tag ausstreckt, wir schon wieder eine Ahnung bekommen von der Zeit der Finsternis, wenden Sie sich hin zum Licht, öffnen Sie Augen und Ohren und lassen Sie den leuchtenden leitenden Schein seines Wortes, seiner wunderbaren Verheißung in Ihr Herz. Denn wir haben es nötig. Nein, nein, nicht nur jene, deren Bluttaten uns bis in unsere Wohnzimmer gesendet werden, nein, nicht nur auf denen, die sich zu schlimmsten Greueltaten haben hinreißen lassen, nein, auch auf uns lastet Schuld. Schuld mit vielerlei Gesichtern. Schauen Sie in den Spiegel, Sie werden das der Ihrigen schon erkennen. Und darum kommen Sie zu ihm. Nur wenn wir uns zu seinen Kindern erklären, nimmt er uns bei der Hand und führt uns aus dieser Schuld.
    Die Tür bewegt sich mit einem leisen Schaben. Ullas Kopf erscheint, vorsichtig, wie in Zeitlupe. Ernstes Gesicht, senkrechte Falte zwischen den Augenbrauen. Blick zum Radio.
    »Hast du die ganze Nacht gebetet?«
    Nehmen Sie diese Hand, noch am heutigen Tag hält er sie uns hin. Ich wünsche Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, einen gesegneten und lichtvollen Tag.
    Zwischen den Schulterblättern bis hoch ins Genick sticht es, brennt. Ein scharfer Schmerz auf der Wange, fühlt sich an wie ein Schnitt.
    »Ich bin wohl auf dem Aktenordner eingepennt.«
    Ulla streift die Tasche von der Schulter, stellt den Aktenkoffer ab, stößt die Luft hörbar durch die Nase aus.
    »Du siehst aus, als hättest du einen Schmiss. Neben dem Ausgang ist eine Toilette. Da habe ich gestern ein Handtuch gesehen. Sah sogar ganz sauber aus.«
    Schmidt schiebt die Eingangstür mit der Schulter auf, in jeder Hand eine Tasche, Kippe im Mundwinkel. Er lacht meckernd.
    »Junge, Junge, kannst du aussehen. Du hast da wieder was verwechselt. Du solltest die Indianerin vergewaltigen und den Bären erschießen.« Die anderen kommen nach, müde Gesichter, rauchen.
    Das Wasser ist wunderbar kühl, die Seife riecht sogar ganz gut. Sieht ja wirklich furchtbar aus. Hinter der Tür lauter Jubel. Was ist denn da los?
    Messner, schon wieder in tadelloser Uniform, mit einer Riesenkanne Kaffee links und einem Korb mit Brötchen und Tassen rechts.
    »Es gibt noch wirkliche Menschenfreunde. Meine Güte, wann bis du denn aufgestanden?«
    Alle fischen sich einen Becher, Geklapper, die große Kanne spuckt Kaffee aus, röchelt. Stummes Kauen, manchmal genüssliches Stöhnen, keiner spricht. Wie im Kuhstall nach der Fütterung. Messner verteilt noch Kaffee, lächelt. Wie kann man um diese Zeit schon so gut aussehen? Ist wahrscheinlich ein ganz Ordentlicher. Nach den Tagesthemen noch ein Glas Milch, und dann ins Bett. Ordentlich gemacht, versteht sich. Den Schlafanzug DIN A4 zusammengelegt.
    Matratze auf dem Boden, zerwühlte Decke, gemustert, gelbe Fische auf grauem

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