Leichensache
meisten, aber in den letzten Jahren ist das anders geworden, da laufen die Mieter hier nur so durch. Seit ich Rentner geworden bin, 1989, habe ich für die Wohnungsbaugenossenschaft hier so kleine Arbeiten erledigt. Ich sorge dafür, dass der Bereich um die Müllcontainer sauber bleibt, dass kein Müll auf den Rasenflächen liegt und solche Dinge. Dafür bekomme ich im Monat 25,- Euro Mieterlass. Bei meiner Rente ist das nicht zu verachten. Außerdem hat man da immer etwas zu tun. Ab und zu habe ich auch mal in den Containern nachgesehen, ob nicht noch was Brauchbares dabei war. Darauf gekommen bin ich, als ich mal eine gut erhaltene Geige in einem Müllsack gefunden habe. Da habe ich eben immer mal nachgesehen.
Am letzten Mittwoch habe ich dann wie immer meine Runde gemacht. Bei einem Container vor Block 112 war der Deckel wieder mal nicht richtig geschlossen. Da sind mir die Stiefel sofort aufgefallen. Die konnte man gar nicht übersehen, weil sie noch so neu waren. Ich habe sie noch vor dem Container anprobiert. Sie waren zwar etwas zu groß, aber bei Gummistiefeln ist das ja nicht so schlimm. Ich habe sie dann in meinen Keller gestellt. Als wir dann am Sonntag die »Aktuelle Stunde« gesehen haben – die sehen meine Frau und ich uns jeden Tag an –, da habe ich zuerst gar nicht daran gedacht, aber meine Frau hat mich dann darauf gebracht. Es kam mir zuerst ganz schön übertrieben vor, denn man will sich ja auch nicht so wichtig machen. Aber meine Frau hat dann doch die ganze Zeit gedrängt, ich solle anrufen. Man sieht ja auch so viel bei Eduard Zimmermann, und man soll da mithelfen, und da habe ich dann doch angerufen. Dass das jetzt die Stiefel sind, die ein Mörder getragen haben könnte, das schockiert mich aber doch.
Auf Frage:
Nein, gesehen habe ich niemanden, der die Stiefel dort abgelegt haben könnte, weder am Mittwoch noch an den Tagen davor. Ich könnte jetzt auch niemanden nennen, dem ich so etwas zutrauen würde. In den Blöcken 112, 114 und 116 wohnen eine ganze Reihe junger Männer. Bei der Bundeswehr sind meines Wissens aber nur
Dirk Röhe,
Haus Nr. 114, 3. Stock links,
und
Willie Neumann,
Haus Nr. 116, 4. Stock rechts.
Andere kenne ich nicht, weil hier, wie schon gesagt, in letzter Zeit auch immer neue Mieter ein- und ausziehen. Mehr kann ich dazu im Augenblick auch nicht sagen. Ich werde mich aber umhören, und wenn ich noch etwas erfahren sollte, werde ich es die Polizei umgehend wissen lassen.
Selbst gelesen, genehmigt
und unterschrieben: E. Pommerenke
Die Sonne verschwindet hinter einem der Blocks, taucht kurz wieder auf, verschwindet hinter dem nächsten. In den Fenstern auf der anderen Seite spiegelt sich das Licht, blendet. Nur die auf kipp gestellten Fenster reflektieren blauen Himmel.
Vor der Nebenwache sind genug Parkplätze, Messner parkt vor dem Haus, steigt aus, schließt die Wache auf. Er geht vor in einen Nebenraum.
»Lasst uns mal hier reingehen, der Raum ist größer. Da steht auch ein Telefon. Ich kann vorne umstellen, dann könnt ihr es benutzen.«
Das Münsteraner Team kommt nach. Die Eingangstür fällt zu, es schellt. Messner drückt den Summer, Brokamp, Heike, Glowatzki und Anne poltern herein, die Tür fällt wieder zu.
Ob hier irgendwo Tesafilm oder Klebeband ist?
»Gibt es hier Tesafilm?« Messner macht eine Schublade auf, wirft den Spender herüber. Der Kleber hält die Skizze nur mit Mühe an der Wand.
»Also, Leute, das sind die acht Blocks, 110 bis 124, viergeschossig, habt ihr ja schon gesehen, und auf jeder Etage zehn bis zwölf Mietparteien. Stimmt doch?«
Ulla nickt. »Ja, laut Einwohnermeldeamtdatei kommt das ungefähr hin, wobei die Daten mit Sicherheit nicht aktuell sind …«
»… mit Sicherheit nicht«, Messner dazwischen, »in manchen Wohnungen ist kaum die Hälfte gemeldet, schätz ich mal so. Aber das ist nicht die Mehrzahl.«
»Ist auch gleichgültig. Wir gehen in jedem Fall in jede Wohnung. Wir teilen uns folgendermaßen auf: Die Münsteraner Kollegen Georg und, äh, Dirk«, er nickt behäbig, »nehmen 110 und 112, Schmidt und Brokamp 114 und 116, Klaus Glowatzki und Anne 118 und 120 und Heike und ich die restlichen beiden. Ulla bleibt hier und ist unter dieser Nummer zu erreichen.«
Der Edding-Stift quietscht auf dem Papier, der Strich wird auf der Raufaserunterlage unregelmäßig. Sie zücken ihre Blocks, notieren.
»Ulla hat für die einzelnen Blöcke die Männer im relevanten Alter markiert.« Sie verteilt die
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