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Leichensache

Leichensache

Titel: Leichensache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Horst
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Grund, dazwischen Ayses Kopf, Gesicht halb im Kissen vergraben, das erste Licht zeichnet das Muster des Ohres nach, weißer Träger vom Schiesser-Feinripp über brauner Schulter, dunkle Haare in den Achselhöhlen.
    Die Tür geht auf, die Münsteraner Kollegen kommen. Ach ja, die fehlen ja noch. Dirk bleibt stehen, hält die Tür auf, zeigt nach draußen.
    »Hat schon jemand von euch vorgeladen heute Morgen? Hier ist nämlich jemand.« Er wartet keine Antwort ab. »Zu wem wollten Sie?« Pause. »Zur Polizei.« Er lacht, »da sind Sie hier richtig. Zu wem genau?« Pause. »Ist egal.«
    »Na, kommen Sie erst mal herein.«
    Sie kommt, kleine langsame Schritte. Um die fünfzig, Aldi-Turnschuhe, Jogginghose aus Ballonseide, T-Shirt. Sie knautscht eine Plastiktüte vor dem Bauch, tiefe Falten von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln, kurze, graue Haare, nach hinten gekämmt.
    »Morgen.« Ohne jede Regung.
    »Guten Morgen, mein Name ist Kirchenberg. Sie wollten zur Polizei, Frau …?«
    »Meise«, mit aufmerksamer Beflissenheit, Angst in den Augen.
    »Frau Meise, worum geht es schon so früh am Morgen?«, lächeln, Mut machen. Sie ignoriert es.
    »Ich hab’s einfach mal probiert so früh, denn ich muss schon um sieben Uhr arbeiten. Ich putze bei der Firma Rosenknecht. Ich habe gestern Abend diesen Zettel in meinem Briefkasten gefunden …« Sie zieht das Fahndungsblatt aus der Tüte, völlig zerknittert.
    »Und Sie können etwas dazu sagen?«
    Sie zieht die Schultern hoch. »Hm, ja, also, könnte sein. Ich weiß nicht …«
    Das können wir hier nicht machen. Messner zeigt mit einer Kopfbewegung in sein Büro. Glowatzki soll mitkommen. Er sieht den Wink, legt sein Käsebrötchen ab, steht auf. Den Kaffee behält er in der Hand.
    »Frau Meise, kommen Sie doch hier herein.«
    Sie setzt sich auf den hingeschobenen Stuhl, hält ihre Tüte fest. Glowatzki setzt sich ganz in die Ecke, nimmt einen Schluck Kaffee, ohne Geräusch.
    »Frau Meise, Sie wohnen hier in den Blocks …«
    »… ja, ja, in 116, seit drei Jahren, gemeinsam mit meinem Sohn Sascha.«
    Glowatzki wirft einen Blick aus den Augenwinkeln, schürzt die Lippen.
    »Wie alt ist Ihr Sohn Sascha?«
    »Einundzwanzig. Vorigen Monat ist er einundzwanzig geworden.« Sie hält die Augen auf den Boden gerichtet, die Füße stehen nebeneinander, geschlossene Knie.
    »Frau Meise, Sie haben den Sachverhalt auf dem Fahndungsblatt gelesen, wollten Sie uns dazu etwas sagen?«
    Zwei tiefe Atemzüge, sie rutscht auf dem Stuhl hin und her.
    »Vorher, Frau Meise, muss ich Sie noch belehren. Wenn Sie bei der Polizei eine Aussage machen als Zeugin, dann müssen Sie die Wahrheit sagen, weil Sie andernfalls bestraft werden können. Außerdem brauchen Sie nichts zu sagen, womit Sie sich selbst oder einen Angehörigen belasten. Haben Sie mich da verstanden?«
    Zustimmende Kopfbewegung.
    »Gut. Also, Sie wollen uns etwas sagen zu dem, was auf dem Zettel steht?«
    Sie blickt durch die Wand.
    »Das fällt Ihnen nicht leicht, oder?« Glowatzki, aus dem Hintergrund mit Beichtvaterstimme.
    Sie verzieht den Mund, verkrampftes Lächeln.
    »Nein«, sie wird wieder ernst, »aber als ich das gelesen habe, was da passiert ist, habe ich mir gedacht, das müsste ich sagen. Weil, der Sascha, der ist da in den letzten zwei Jahren mit so Leuten zusammen. Das hat ihn völlig verändert. Ich weiß oft gar nicht mehr, was ich mit ihm machen soll. Wenn das sein Vater noch mitgemacht hätte, das war so ein strenger, ehrlicher …« Sie schüttelt den Kopf, blickt ins Leere, tiefer Atemzug.
    »Der Vater fehlt ihm schon sehr, glauben Sie, so als Orientierung, als fester Halt?« Glowatzki steht auf, kommt nach vorn, setzt sich schräg vor sie, Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt.
    »Ja, ja, das fehlt ihm«, ihre Augen bleiben abwesend, »aber das kann ja nun auch keine Entschuldigung für alles sein.« Sie wacht auf, seufzt. »Aber darum bin ich ja auch hier.«
    Ruhe. Glowatzki lässt ihr Zeit. Sie sieht ihn an, sucht nach Worten.
    »Ich will Ihnen gleich sagen, dass ich nicht weiß, wo Sascha jetzt ist. Seit Mittwoch ist er weg. Das hat er sonst auch schon mal gemacht, ich weiß dann nie, wo er ist, und das weiß ich auch jetzt nicht«, ihre Nasenflügel zucken, sie schaut auf den Boden, »er treibt sich immer mehr rum.«
    Glowatzki lugt unauffällig herüber, hält den gespreizten Daumen waagerecht, streckt ihn dann langsam nach oben, wackelt damit.
    »Und seit Mittwoch ist er fort?«
    »Ja, seit

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