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Leichenschänder

Titel: Leichenschänder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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gerechte Paradies genommen hat, war mein Tassilo mein ein und alles.“ Sie schaute mit bewölkten Augen zur Decke hoch.
    „Haben Sie keine Kinder?“
    „Ach, hören Sie mir bloß mit meinen Kindern auf! Eugen, meinen Sohn, habe ich schon seit Monaten nicht mehr gesehen. Nicht, seit er diese Kellnerin geheiratet hat, die in der Bar bediente, in der er sich besoffen hat, wenn er mal wieder durch die Diplomprüfung gerasselt war. Er ist nicht einmal zur Beerdigung seines eigenen Vaters gekommen.“
    Ich nickte unverbindlich und nahm noch einen Schluck Kaffee, der inzwischen lauwarm geworden war.
    „Natürlich haben ihn mein Mann und ich enterbt. Adalbert hat sich zuerst geweigert, weil Eugen sein einziger Sohn war, aber wir Heißenbüttels haben schließlich einen Ruf zu wahren.“ Sie sah mich zustimmungsheischend an, und ich nickte, nur eine Spur zu gefällig.
    Ich hatte die erste Seite meines Blockes bereits vollgeschrieben, blätterte um und fragte: „Haben Sie noch weitere Kinder?“
    „Ich hatte eine Tochter.“
    „Ist sie gestorben?“, fragte ich so taktlos, dass Huber stolz auf mich gewesen wäre.
    „Für mich schon“, sagte Frau Heißenbüttel. „Lange Zeit war meine Leopoldine ein braves Mädchen, fleißig und keusch. Bis sie sich mit einer Bande von Motorradrockern eingelassen hat, die vor ein paar Jahren die Gegend terrorisierte. Diese Wilden sind am helllichten Tag, wenn anständige Leute zur Arbeit gehen, lärmend durch die Straßen gerast und haben sich mit Bierdosen beworfen. Eines Tages war Leopoldine verschwunden. Sie hat einen Zettel zurückgelassen, auf dem stand, dass sie mit einem Rocker namens The Devil’s Son durchgebrannt sei und nicht vorhabe, sich je wieder bei uns blicken zu lassen.“
    „Hat sie?“
    „Nein, leider nicht“, sagte Frau Heißenbüttel. „Mein armes Baby. Sie war doch erst achtzehn, hatte keinerlei Ahnung vom Leben und der Welt …“ Sie schnüffelte in ihr spitzenverziertes Taschentuch, tupfte sich die Augen trocken und setzte schließlich wieder ihre resolute Miene auf.
    „Was haben Sie eigentlich für einen Beruf?“, fragte ich.
    „Was meinen Sie damit?“ Sie schaute mich verwundert an.
    „Womit verdienen Sie Ihr Geld? Was arbeiten Sie?“
    „Arbeiten? Ich habe es nicht nötig zu arbeiten, junger Mann. Die Heißenbüttels haben sich im Laufe der Zeit einen gewissen Wohlstand aufgebaut, und deshalb kann ich meine bescheidenen Bedürfnisse befriedigen, ohne dass ich mich mit Arbeit abgeben muss.“
    Ich erinnerte mich, wie aus dem Nichts, an die Rocker und ihre lasche Arbeitsmoral. Seltsam, wo wir doch über etwas ganz anderes redeten.
    „Lassen Sie uns wieder auf das eigentliche Thema zurückkommen, Frau Heißenbüttel“, sagte ich. „Wann haben Sie Ihren geliebten Tassilo das letzte Mal lebend gesehen?“
    Frau Heißenbüttel zupfte an ihrem Seidenkostüm herum und sagte: „Zum letzten Mal sah ich meinen armen Tassilo an dem Tag, an dem es geschehen ist.“
    Ich beugte mich vor und fragte lüstern wie Huber beim Anblick von Frau Sommer: „Das Verbrechen?“
    Frau H. starrte mich hasserfüllt an und sagte in beißendem Tonfall: „Nein, Verehrtester, die Landung der Außerirdischen auf dem Stephansplatz, während Karajans Witwe im Dom die Sängerknaben dirigierte! Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Sie unverschämter Flegel?“
    „Tut mir leid“, sagte ich, „das ist mein erster Artikel, und deshalb läuft das Ganze noch ein bisschen holprig.“ Ich schenkte ihr ein Lächeln, so picksüß, dass ein Diabetiker daran gestorben wäre.
    Schließlich entspannten sich die Züge von Frau H. wieder und sie fuhr fort: „Nun denn … Ich sah meinen armen Tassilo das letzte Mal gestern Abend, bevor ich in die Oper ging. Zum Abschied habe ich meinem Liebling noch ein bisschen Lachs vom Abendessen in die Futterschüssel gelegt.“
    „War Ihr Personal an diesem Abend nicht im Haus?“, fragte ich und richtete mich ein wenig auf. Diese weichen Polster waren auf Dauer nichts für meinen harten Arsch.
    Sie schüttelte den Kopf. „Am Wochenende haben die Bediensteten frei. Das wussten die Täter offensichtlich. Diese hinterhältige, feige Bande! Sich an einem armen, wehrlosen Tier zu vergreifen! Eine inhumane Schande ist das!“
    „Ich kann Ihnen versichern, Frau Heißenbüttel, dass unsere Zeitung alles unternimmt, um die Täter zu fassen und sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“
    „Danke“, murmelte Frau Heißenbüttel. „Ich weiß Ihre

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