Leichenschänder
nur darauf kommt es ihm an.“
„Was sind das für Spuren?“
„Elektroschocker hinterlassen häufig sogenannte Kontaktverbrennungen. Bei Tränengasspray gibt es Reizungen im Gesicht oder Verätzungen der Schleimhäute.“
Ich schrieb eifrig mit und fragte: „Weist Stefan Andergasts Leiche solche Spuren auf?“
„Keine Verätzungen oder Reizungen.“
„Und wie schaut’s mit Kontaktverbrennungen aus?“
„Bis jetzt haben wir keine entdeckt. Aber wir könnten sie auch übersehen haben, bei all dem Blut“, sagte Wachtelgruber. „Auf jeden Fall wissen wir mehr nach der Autopsie.“
Ich unterdrückte das flaue Gefühl in meinem Magen und sagte: „Wie wurde er getötet? Ich nehme an, dass man mit einem Elektroschocker niemanden umbringen kann, oder?“
Wachtelgruber schüttelte den Kopf. „Man wird höchstens für ein Weilchen bewusstlos. Meiner Einschätzung nach wurde Stefan Andergast durch einen Stich in den Hals getötet. Ich tippe auf ein Stilett oder einen spitzgefeilten Schraubenzieher. Die Karotis wurde durchtrennt, und er ist wahrscheinlich verblutet.“ Wachtelgruber schaute kurz nach oben und betastete geistesabwesend seine Krawattennadel, die die Form eines Kreuzes hatte.
Ich holte meine Kamera aus der Tasche und sagte: „Ich würde gerne ein paar Fotos machen. Was dagegen?“
„Nur zu“, sagte Wachtelgruber.
Ich verschoss einen halben Film, um Stefans Leiche aus allen Blickwinkeln zu fotografieren. Wachtelgruber wollte mich nicht unter die Plane schauen lassen, deshalb war außer dem Kopf und den Blutrinnsalen nicht allzu viel zu sehen. Die andere Hälfte des Filmes verknipste ich, indem ich mehr oder weniger planlos das Zimmer abfotografierte. Vielleicht ließ sich mit einem der Bilder ja was anfangen. Als ich fertig war, packte ich meine Ausrüstung wieder ein.
„Chef, schauen Sie, was ich gefunden habe!“, rief der Spurensicherer.
Wachtelgruber ging zu ihm hinüber.
Ich folgte ihm.
„Was ist das?“, fragte Wachtelgruber und betrachtete die kleine Lache, die auf dem Linoleum schimmerte.
Der Spurensicherer, der am Boden kniete, sagte: „Könnte gewöhnliches Wasser sein, aber das glaube ich nicht.“
„Warum nicht?“, fragte ich.
„Es hat einen leicht chemischen Geruch.“
„Irgendeine Ahnung, was das sein könnte oder woher das stammt?“, fragte Wachtelgruber.
Der Spurensicherer schüttelte den Kopf. „Nein. Aber wir werden das im Labor untersuchen, und dann wissen wir mehr.“ Er holte eine Pipette aus seinem schwarzen Koffer, saugte die Flüssigkeit auf und ließ sie in ein Glasfläschchen tropfen, das er anschließend sorgfältig beschriftete und in einer Schaumstoffablage wieder im Koffer verstaute.
Während Wachtelgruber und der Spurensicherer sich weiter über die rätselhafte Flüssigkeit unterhielten, durchstreifte ich ein letztes Mal die Wohnung.
Ich zog auf gut Glück ein paar Schubladen auf und fand in einer davon einen Schlüssel. Ein Zweitschlüssel für die Wohnung? Ich schaute mich rasch um, sah mich unbeobachtet und steckte den Schlüssel aus einem Impuls heraus ein.
Ich notierte mir noch Wachtelgrubers Nummer, dann verabschiedete ich mich von ihm und dem Spurensicherer und ging zur Tür.
In diesem Moment kamen zwei Männer herein, die einen Metallsarg schleppten. Sie gingen ins Zimmer, legten Stefans Leiche in den Sarg und verschlossen den Deckel, schweigend und ohne die geringste Eile.
Als sie die Wohnung verließen, folgte ich ihnen die Treppe hinunter. Auf dem ersten Absatz stand eine alte Frau in Hauskleid und Filzpantoffeln in der offenen Tür. Sie musterte abschätzig meine Kameratasche, starrte mir dann feindselig ins Gesicht und schrie: „Nicht einmal die Toten könnt ihr in Ruhe lassen, ihr Leichenschänder!“
„Gehen Sie wieder hinein, sonst holen Sie sich noch eine Erkältung“, sagte der hintere Sargträger zur Alten. „Wir wollen doch nicht, dass wir Sie das nächste Mal mitnehmen müssen.“
Die Alte bekam einen roten Kopf, atmete ein paar Mal heftig ein und aus und knallte schließlich die Wohnungstür mit aller Kraft zu, die noch in ihren dürren Ärmchen steckte.
Auf der Straße wehte ein eisiger Wind. Ich schlug den Mantelkragen hoch, stieg in den Fiesta und fuhr zur Redaktion. Nachdem ich einen Parkplatz gefunden hatte, brachte ich den Film zu einem
Fotokarussell
, sagte dem Typen hinter der Theke, er solle sich beeilen, und nahm, gnädig, wie ich bin, das Eins-plus-eins-gratis-Angebot an. Einen Abzug bezahlen, den
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