Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Leichenschänder

Titel: Leichenschänder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
Vom Netzwerk:
tränenerstickter Stimme.
    Ich fühlte mich wie kurz vor der Heiligsprechung.
    „Ich muss jetzt leider gehen“, sagte der Irre. „Mein Boss hat mir aufgetragen, die Fotos und die Negative zu besorgen und dann wieder zu verschwinden.“
    „Wie heißt denn dein Boss?“
    „Herr …“ Er schlug sich die Hand vor den Mund. „Das darf ich dir leider nicht sagen. Hat mein Boss mir verboten.“
    „Da kann man nichts machen. Ich kenn das von meinem Boss. Und ich will nicht, dass du deinen Job verlierst. Wer weiß, ob du was anderes findest bei der derzeitigen Arbeitsmarktsituation.“
    Der Irre nickte und sagte: „Du bist ein großer Denker mit einem noch größeren Herzen, mein Freund. Du solltest dein Leben nicht als Fotograf verschwenden, wo doch die Philosophie auf dich wartet!“
    „Gefesselt am Boden liegend und von Ameisen traktiert philosophiert es sich aber schlecht. Du könntest mich losbinden.“
    Der Irre nickte und tänzelte näher. Etwa einen Meter neben mir blieb er stehen, machte ein betrübtes Gesicht und schüttelte den Kopf.
    „Deinem Boss würde es nicht gefallen, wenn du mich losbindest, richtig?“, sagte ich.
    Der Irre nickte.
    „Könntest du mir wenigstens die Ameisen und die Cola abwaschen, bevor du gehst?“
    „Das ist das Mindeste, das ich für dich tun kann“, sagte der Irre und tänzelte in die Küche.
    Ich versuchte derweil tapfer, die kaum noch zu ertragenden Ameisenbisse zu ignorieren, und fragte mich, was zur Hölle so interessant an den Fotos war, die ich in Stefans Wohnung geschossen hatte, dass jemand einen Hirnweichen losschickte, um sie in die Finger zu bekommen.
    Schließlich kam der Irre mit einem großen Glas zurück, das bis an den Rand mit Wasser gefüllt war. Ich zuckte kurz zusammen, als er das Wasser mit einer schwungvollen Bewegung auf mich schüttete, denn es war eiskalt. Auch den Ameisen schien es nicht zu gefallen. Verzweifelt kämpften sie um ihr Leben, doch nur die wenigsten schienen den Freischwimmer gemacht zu haben. Sie strampelten mit ihren dürren Beinchen und starben einen lautlosen Tod.
    „Willst du noch eine Zigarette, bevor ich gehe?“, fragte der Irre.
    „Das wäre sehr nett“, sagte ich.
    Der Irre kramte in meinen Sachen herum, fand eine Zigarette, zündete sie an und steckte sie mir in den Mund. „Du solltest aufpassen, dass die Asche nicht aufs Parkett fällt. Das gibt sonst hässliche Brandflecken.“
    Ich nuckelte vorsichtig an meiner Zigarette und versuchte, die Asche möglichst gleichmäßig links und rechts auf meinen Schultern zu verteilen. Der Irre sah mir dabei ganz ruhig zu. Nur ab und an zuckte sein linker Fuß unkontrolliert.
    Als ich fertiggeraucht hatte, nahm er mir den Stummel aus dem Mund und platzierte ihn sorgfältig auf dem Ofen. Dann hob er die Socke vom Boden auf und kniete sich neben mich.
    „Ist das wirklich nötig?“, fragte ich.
    „Ich möchte nicht, dass du losschreist, kaum dass ich gegangen bin.“
    „Und ich möchte keine Socke mehr in den Mund gesteckt bekommen.“
    „In Ordnung“, sagte der Irre. Er lächelte, dann zog er den Elektroschocker aus seinem Sakko und hielt ihn mir an den Hals.
    Und ich verlor zum zweiten Mal an diesem Morgen das Bewusstsein.

Sieben
    „Enzo? Bist du zu Hause?“
    Ein heftiges Klopfen an meiner Wohnungstür ließ mich wieder zu mir kommen. Ich hob den Kopf, soweit mir das meine gefesselte Lage ermöglichte, und rief: „Ist offen!“
    Die Tür ging auf und Maria Ruby Pichelsteiner kam herein.
    „Was tust du denn hier?“, fragte ich.
    „Das sollte ich eher dich fragen.“ Sie machte die Tür hinter sich zu und stellte ihre Batiktasche auf den Boden.
    „Pass auf, es wimmelt hier nur so von Ameisen.“
    Sie verzog angewidert ihren hübschen Mund und sagte: „Gegen ein bisschen Sado-Maso-Sex habe ich nichts einzuwenden, aber dieses perverse Zeug hier …“
    „Keine voreiligen Schlussfolgerungen. Ich liege nicht freiwillig hier.“
    „Ach nein?“, fragte Maria Ruby Pichelsteiner und musterte mit skeptischer Miene das Chaos in meiner Wohnung.
    „Nein, es war eine Laune des Schicksals.“
    „Eine Laune des Schicksals. Dass ich nicht lache!“
    Sie lachte kein bisschen, sondern holte sich einen Stuhl aus der Küche und setzte sich neben mich, was mir die Möglichkeit gab, sie etwas genauer zu betrachten. Sie trug eine pseudoindische Pumphose, eine rote Seidenbluse und einen unförmigen grauen Poncho. Ihr Haar wurde von einem bunten Band zusammengehalten, und trotz der

Weitere Kostenlose Bücher