Leichenschänder
Kälte trug sie Sandalen, zu denen allerdings die dicken Militärsocken an ihren zierlichen Füßen nicht so recht passten.
„Du änderst deinen Stil ziemlich schnell“, sagte ich. „Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du angezogen wie eine sizilianische Witwe.“
„Ich entwickle mich eben weiter. Im Gegensatz zu dir.“
„Ich würde liebend gern mit dir über Entwicklungspsychologie diskutieren, aber im Liegen redet es sich so schlecht.“
Maria Ruby Pichelsteiner seufzte, ging in die Küche und kam mit einem riesigen Messer zurück.
„Du bist doch vorsichtig damit, oder?“
„Halt die Klappe!“ Sie beugte sich zu mir herunter, zerschnitt meine Arm- und Beinfesseln und riss mir dann das Klebeband ohne die geringste Zärtlichkeit ab. Ich schnappte kurz nach Luft, als auch ein paar Haare dran glauben mussten, unterdrückte aber männlich einen Schmerzensschrei, kämpfte mich etwas wackelig auf die Beine und massierte mir die Handgelenke.
Maria Ruby Pichelsteiner setzte sich wieder auf den Stuhl und rauchte eine Mentholzigarette. Bald stank das ganze Zimmer wie ein verbranntes Hustenbonbon.
„Wie kannst du nur dieses eklige Zeug rauchen, Maria?“
„Mir schmeckt es“, sagte sie schnippisch. „Und ich will nicht wie alle anderen sein. Außerdem heiße ich nicht mehr Maria, sondern Rashmika.“
„Rashmika?“, sagte ich und versuchte nicht mal, mein Grinsen zu unterdrücken.
„Das ist indisch und bedeutet
Strahl des Lichts
.“
„
Strahl des Lichts
. Das klingt … hell.“
„Danke.“
„Weißt du, wie spät es ist?“
Sie warf einen Blick auf ihre Mini-Uhr, die sie als Ring an ihrem Mittelfinger trug, und sagte: „Acht Uhr achtundzwanzig.“
Allzu lange war ich nicht weggetreten gewesen.
Ich zerquetschte ein paar Ameisen, die sich hartnäckig in meinem Brustfell festgesetzt hatten, und sagte: „Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du hier eigentlich willst.“
„Kein
Danke
? Kein
Schön, dich zu sehen
? Kein
Wie geht’s dir?
.“
Ich seufzte und sagte: „Danke fürs Losbinden. Schön, dich zu sehen. Wie geht’s dir?“
„War das jetzt so schwer?“, fragte Maria Ex-R. R. P. mit einem neckischen Lächeln.
„Warum … bist … du … hier?“
„Ich hab an einer Meditationsveranstaltung teilgenommen, und die dauerte die ganze Nacht. Und da ich in der Nähe war, dachte ich, ich schau mal bei dir vorbei.“
„Warum?“
„Du hast ein sehr schlechtes Karma, und dagegen solltest du etwas unternehmen. Ich könnte dir dabei helfen.“
„Vielen Dank, äh, Rashmika, aber ich komme ganz gut zurecht mit meinem Karma.“ Ich drehte mich um und zupfte eine besonders neugierige Ameise unter meiner Vorhaut hervor. „Perverse Drecksau!“, zischte ich und zerquetschte sie. Dann wandte ich mich wieder Maria mit den vielen Namen zu und fragte: „Ist dir vorhin im Stiegenhaus ein Mann begegnet?“
Maria Ex-Ruby Rashmika Pichelsteiner schüttelte den Kopf. „Ich hab nur ein Taxi gesehen, das vor dem Haus weggefahren ist, als ich gekommen bin.“
„Saß jemand drin?“
„Der Fahrer.“
„Und abgesehen vom Fahrer?“
„Ein Mann.“
„Hatte er eine Stirnglatze und irre Augen?“
„Seine Augen konnte ich nicht sehen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er eine Stirnglatze hatte.“ Sie lächelte schelmisch und sagte: „War das dein Lover, mit dem du deine perversen Spielchen veranstaltet hast?“
„Jetzt hast du mich ertappt“, sagte ich. „Ach ja, kannst du dich an das Taxiunternehmen erinnern?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Was für eine Nummer stand auf dem Schild?“
Sie dachte kurz nach und nannte mir dann die Nummer. Ich kritzelte sie auf meinen Notizblock.
Eine erste Spur.
Ich sprang kurz unter die Dusche und befreite mich von den letzten Ameisen. Dann zog ich mich an, trank eine Tasse Kaffee, die Maria Ex-R. R. Pichelsteiner inzwischen gemacht hatte, und rief in der Redaktion an.
Ich erzählte Frau Eisenhut, dass ich meine Kamera reparieren lasse müsse und deshalb etwas später kommen würde. Sie schien mir nicht zu glauben, aber das war mir egal. Ich unterbrach die Verbindung und rief beim Taxiunternehmen an, dessen Wagen den Irren transportiert hatte. Ich tischte der Telefonistin eine halbgare Geschichte auf, deren Hauptzutaten ein guter Bekannter, ein bei mir liegen gelassener Schlüsselbund und ein mir unbekanntes Fahrtziel waren. Der Telefonistin schien die Geschichte zu schmecken, denn auf meine Frage, ob sie herausfinden
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