Leichensee
telefoniert.«
»Und?«
»Die gute Nachricht: Die Leichen wurden inzwischen nach New York in unsere Pathologie geschafft.«
»Wusste Hunter mehr darüber, als High mir am Telefon erzählen konnte?«
»Tja, das ist jetzt die schlechte Nachricht. Fest steht: Alle Opfer sind Frauen unterschiedlichen Alters mit unbekannter Identität.«
»Das bedeutet, dass der Mörder wahrscheinlich männlich und ein Triebtäter ist«, kombinierte Decker.
»Nicht unbedingt«, widersprach er. »Soweit sich noch feststellen ließ, waren die Ermordeten vollständig bekleidet.«
»Was einen sexuellen Missbrauch nicht zwangsläufig ausschließt. Welches Motiv könnte der Täter sonst gehabt haben?«
»Frustration, weil Frauen ihn abwiesen. Rache, weil Frauen ihn demütigten. Machtgelüste, weil er sich als Herr über Leben und Tod fühlen wollte. Und es gibt noch ein Argument, das gegen einen Triebtäter spricht: Sexualtäter entwickeln meist Präferenzen, was Alter und Aussehen ihrer Opfer betrifft. Die Analyse der gefundenen Skelette ergab, dass es sich bei den Opfern sowohl um sehr junge, als auch ältere Frauen handelt. Allem Anschein nach tötet der Mörder willkürlich und nicht nach einem bestimmten Muster, wie ein pathologischer Serienkiller es tut.«
»Was weiß man sonst noch? Waren die Frauen nun Urlauberinnen oder nicht?«
»Falls ja, müssen sie alleine gereist sein. Ansonsten hätte es aufgrund ihres Verschwindens bereits früher Ermittlungen auf den Inseln gegeben. Allerdings haben auch Alleinreisende Familie und Freunde. Irgendwann hätte irgendjemandem in ihrem Umfeld auffallen müssen, dass die Vermissten nicht aus ihrem Urlaub zurückgekehrt sind.«
»Vielleicht gab es diese Vermisstenmeldungen ja. Wenn auch erst Tage oder Wochen, nachdem sie wieder zu Hause angekommen sein sollten.«
»Möglich, falls es sich tatsächlich um Alleinstehende handelte, die niemand früher vermisst hat.«
Ein Hotelangestellter betrat den Raum. Er legte ein paar druckfrische Tageszeitungen auf eine Ablage am Eingang. Cotton holte sich eine Ausgabe und kehrte damit an den Tisch zurück. Ihn interessierte vor allem der Wetterbericht. Für den Nordosten der Vereinigten Staaten wurde Unwetterwarnung gegeben.
Beim Lokalteil angekommen, stutzte er plötzlich. Über eine Seite hinweg beschäftigte sich ein Artikel ausführlich mit den Leichenfunden auf Chappaquiddick. Sheriff Pearces Name wurde mehrfach erwähnt. Das FBI kam nicht ein einziges Mal vor.
Cotton faltete das Blatt bedächtig zusammen, sodass die Seite mit dem Lokalteil zuoberst war.
»Und, steht was Interessantes drin?«, erkundigte sich Decker, nachdem sie ihren Orangensaft ausgetrunken hatte.
»Die Büchse der Pandora ist geöffnet«, stellte Cotton lakonisch fest. »Unser in seinem männlichen Stolz gekränkter Sheriff boykottiert weiterhin unsere Ermittlungen durch Indiskretionen.«
Er reichte Decker die Zeitung.
Sie überflog den Bericht und legte die Zeitung dann beiseite.
Cotton verzog das Gesicht. »Bereiten wir uns also mental auf eine Meute Journalisten vom Festland vor, die Chappaquiddick heute überschwemmen wird.«
»Vielleicht auch nicht. Ich habe vorhin an der Rezeption erfahren, dass alle Fähren wegen des drohenden Schneesturms den Betrieb eingestellt haben. Dasselbe gilt für Flüge von Martha’s Vineyard auf das Festland und umgekehrt. Sieht aus, als hätte dieser Blizzard auch seine guten Seiten.«
»Das heißt allerdings auch, dass wir beide hier auf unbestimmte Zeit festsitzen.«
»Das stimmt leider. Wie es aussieht, sind unsere Ermittlungen vorläufig auf Eis gelegt, wortwörtlich.«
»Apropos Fall, vielleicht hätte ich da noch einen für uns. Einen, der mit der Kellnerin aus dem Coffeeshop zusammenhängt, die ich vergangene Nacht besucht habe.«
Cotton erzählte von seiner nächtlichen Begegnung der dritten Art mit Terry Dodson, der Amy bedroht und ihn um ein Haar überfahren hatte. »Deswegen muss ich heute unbedingt noch nach Chappaquiddick. Damit unser dafür zuständiger Gesetzeshüter Dodson festnimmt.«
»Überstürzen Sie nichts«, mahnte ihn Decker. »Sie sollten abwarten, bis das Wetter sich bessert. Warum rufen Sie den Sheriff nicht vom Hotelzimmer an und sagen ihm, was Sie auf dem Herzen haben?«
»Habe ich schon versucht. Wie es aussieht, sind auch die Telefonverbindungen zusammengebrochen. Sowohl fürs Festnetz als auch fürs Handy. Also muss ich den Sheriff wohl oder übel persönlich aufsuchen.«
»Wo ist diese
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