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Leichensee

Leichensee

Titel: Leichensee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mennigen
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Er besah sich den Schaden am Auto.
    Der Motor war abgewürgt. Die Räder an der Fahrerseite steckten bis über den Radkappen im Schnee. Die linke Vorderseite der Haube war durch die Wucht des Aufpralls so verbeult, dass der Motorraum mit Sicherheit Schaden genommen hatte.
    »Ohne Abschleppwagen kommen wir hier nicht raus«, stellte Cotton lakonisch fest.
    »Tut mir leid«, murmelte Decker. »Ich habe falsch reagiert.«
    »Das war nicht Ihre Schuld. Es ist ein Wunder, dass wir bei dem Schnee überhaupt so weit gekommen sind.«
    »Danke für den Trost, aber der hilft uns im Moment auch nicht weiter.« Decker trat von einem Fuß auf den anderen. Trotz des Mantels fror sie erbärmlich. »Wir sitzen fest. Was nun? Den Pannendienst rufen, macht wohl wenig Sinn.« Sie seufzte. »Gehen wir zu Fuß über die Brücke nach Martha’s Vineyard?«
    Cotton schüttelte den Kopf. »Das käme einem Selbstmordversuch nahe. Ich schlage vor, wir kehren um und suchen in Chappaquiddick eine Bleibe.«
    Es widerstrebte Decker, die Nähe des Autos zu verlassen. Im Innern wären sie zumindest vor dem Sturm geschützt.
    »Vielleicht bekommen wir den Wagen frei«, schlug sie vor. »Ein Versuch schadet nichts.«
    »Okay.« Cotton ging zur Fahrerseite, klemmte sich hinter das Steuer und drehte den Zündschlüssel. Der Motor keuchte kurz, und das war’s dann. Nach mehreren erfolglosen Versuchen brach Cotton ab.
    Sie ließen den nutzlos gewordenen Wagen stehen und versuchten, sich zu Fuß durchzuschlagen. Jeder Schritt wurde zum Kampf gegen den Sturm, der den Schnee fast waagerecht peitschte. Es herrschte ein tückischer Dämmerzustand, der eine Orientierung unmöglich machte, zumal die Agents die Köpfe gesenkt halten mussten zum Schutz gegen die Eiskristalle, die ihnen wie Nadelspitzen ins Gesicht gepeitscht wurden.
    Trotz des Mantels zitterte Decker am ganzen Körper. Mit beiden Händen umklammerte sie Cottons Arm und schmiegte sich an ihn, um nicht ins Stolpern zu geraten. Ihr Atem ging zunehmend stockender, ihre Muskeln wurden taub, ihre Beine fühlten sich schwer wie Blei an. Fast wäre sie gestrauchelt. Cotton legte einen Arm um ihre Taille und hielt sie fest. So kämpften sie sich über eine Stunde durch den Blizzard, bis …
    »Ich kann nicht mehr.« Decker blieb stehen und schnappte nach Luft. »Mir ist schwindlig.«
    »Wir müssen weiter«, drängte Cotton. »Wenn wir hier stehen bleiben, werden wir erfrieren.«
    Er legte den rechten Arm um ihren Rücken, schob den linken hinter ihre Oberschenkel und hob sie hoch.
    »Halt, was machen Sie da?«, rief Decker erschrocken.
    »Sie tragen. Wenn Sie mir dabei behilflich sein wollen, dann legen Sie den linken Arm um meinen Nacken.«
    Decker tat, wie ihr geheißen. Mit der Agentin auf den Armen marschierte Cotton weiter. Inzwischen waren sie längst nicht mehr auf der Straße. Davon zeugten die Baumstämme, die wie aus dem Nichts auftauchten, um sogleich wieder von dem Schneegestöber verschluckt zu werden. Womöglich liefen sie schon eine Weile im Kreis.
    Der Marsch durch den Orkan und den knietiefen Schnee war kräftezehrend. Cotton wusste nicht, wie lange er Decker schon durch die entfesselten Naturgewalten trug. Jedes Zeitgefühl war ihm abhandengekommen. Sein Atem ging schwerer, sein Puls raste, seine Muskeln zitterten, und Schweiß rann ihm übers Gesicht.
    Schwer atmend erreichte Cotton einen weitläufigen Strandabschnitt. In der Nähe war das Rauschen der Brandung zu hören. Der Special Agent hatte nicht die geringste Ahnung, an welchem Teil der Insel er sich befand. Er hielt inne und blinzelte sich den Schweiß aus den Augen, um mehr erkennen zu können. Irgendwo vor ihm zeichneten sich die Umrisse eines Hauses ab.
    »Ich glaube, wir sind gerettet«, keuchte er.
    Decker antwortete nichts. Leblos lag sie in Cottons Armen.
    Das Gebäude war in einen zum Meer hin abfallenden Hang gebaut. Bis zum Wasser waren es keine dreißig Yards. Der untere Bereich des Hauses bestand aus solidem Mauerwerk. Der Aufbau und das Dach waren aus Holz. Links unten befand sich eine geschlossene Doppelgarage. Rechts außen führte eine Holztreppe zum Eingang hinauf, der sich vom Strand aus gesehen im ersten Stockwerk befand. Aus dem Kamin stieg Rauch. Abgesehen davon wirkte die Behausung verlassen.
    Cotton kämpfte sich die Treppe hinauf. Oben angekommen bettete er Decker vorsichtig auf den Boden, sodass sie mit dem Rücken gegen die Wand lehnte. Da sich nirgendwo ein Klingelknopf fand, hämmerte er mit der

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