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Leichensee

Leichensee

Titel: Leichensee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mennigen
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stellte die beiden verbliebenen Tassen auf den Tisch und nahm auf dem freien Sessel Platz. »Ja, ich bin in Boston aufgewachsen, habe dort studiert und mein Leben lang gearbeitet. Und Sie kommen woher?«
    »Aus New York.«
    »Was führt Sie in diesen abgelegenen Winkel der Welt?«
    »Wir arbeiten hier.«
    »Oh, wirklich? Interessant. Aber herrje, wo sind nur meine Manieren geblieben? Möchten Sie etwas Gebäck?«
    »Gern, danke«, antwortete Cotton, dem vor Hunger der Magen knurrte.
    Ihr Gastgeber verschwand wieder in die Küche und kehrte mit einer Schachtel Donuts und drei Kuchentellern zurück. Dabei entging ihm nicht Deckers skeptischer Blick auf seine von Pusteln übersäten Hände.
    »Stören Sie sich bitte nicht an meinem Ausschlag«, beruhigte er sie. »Es ist nichts Ansteckendes, sieht nur hässlich aus. Mein Körper reagiert allergisch auf irgendetwas auf dieser Insel. Möglicherweise eine Pflanze, keine Ahnung. Doch von ein paar unansehnlichen Ekzemen lasse ich mir nicht meinen Lebenstraum nehmen. Ich würde deswegen nicht von hier fortziehen. Dafür gefällt es mir auf Chappaquiddick viel zu sehr«, gestand er, während er die Teller verteilte. »Entschuldigen Sie bitte meinen etwas frostigen Empfang, als Sie vor meiner Haustür standen. Wegen meines Rufs auf dieser Insel bin ich keine Besucher gewohnt.«
    Decker nippte vorsichtig an ihrem Kaffee. »Was für einen Ruf haben Sie denn?«
    »Die Leute halten mich für einen Sonderling, der etwas verdreht im Kopf ist.« Carnahan stellte den Karton mit den Donuts auf die Tischmitte, nahm Platz und warf einen besorgten Blick Richtung Fenster. »Dieses Wetter da draußen ist wirklich ein Albtraum. Ich frage mich, was Sie dazu bewogen hat, bei einem Schneesturm spazieren zu gehen.«
    »Nein, wir sind mit unserem Auto stecken geblieben«, stellte Cotton richtig. »Wir waren wegen einer Ermittlung unterwegs.«
    »Geht es dabei um diese hässlichen Leichenfunde auf unserer schönen Insel?«, erkundigte sich Carnahan. »Davon war gestern in den Nachrichten die Rede.« 
    »Ja, deswegen sind wir hier.« Cotton nahm einen Donut, biss hinein und legte ihn auf seinen Teller.
    »Haben Sie schon etwas Aufschlussreiches gefunden?«
    »Tut mir leid«, sagte Decker, die ihre heiße Tasse weiter mit beiden Händen umschlossen hielt. »Über laufende Ermittlungen dürfen wir nichts sagen.«
    »Verstehe.« Ihr Gastgeber lehnte sich in seinem Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. »Aber unter Kollegen dürfen Sie vielleicht eine Ausnahme machen.«
    »Kollegen?«, wiederholte Cotton verblüfft.
    »Eigentlich Exkollege«, schmunzelte er. »Vor etwa fünf Jahren habe ich mich auf dieser Insel zur Ruhe gesetzt. Nachdem ich zuvor die Hektik der Großstadt mein Leben lang zur Genüge ausgekostet hatte, wollte ich auf Chappaquiddick meinen Lebensabend verbringen.«
    »Verstehe ich das richtig?«, hakte Cotton überrascht nach. »Sie waren bei der Polizei von Boston?«
    »Bei der Mordkommission, als leitender Forensiker. Während meiner Dienstzeit stand ich im Ruf, der angesehenste Spezialist für gerichtsmedizinische Untersuchungen von ganz Massachusetts zu sein.«
    Decker gähnte hinter vorgehaltener Hand. »Entschuldigen Sie, wenn ich im Moment nicht sehr aufnahmefähig bin. Am liebsten würde ich mich irgendwo zum Schlafen hinlegen.«
    Carnahan nickte verständnisvoll. »Oben habe ich zwei Gästezimmer, die können Sie für die nächsten Tage nutzen.«
    »Wir haben nicht vor, Sie tagelang zu belästigen«, meinte Cotton.
    »Ich fürchte, Ihnen wird gar nichts anderes übrig bleiben. Es sei denn, Sie sind wild darauf, da draußen in der Schneewüste zu erfrieren. Bedauerlicherweise kann ich Ihnen keine Hilfe rufen, alle Telefonverbindungen sind unterbrochen. Wie es aussieht, ist Chappaquiddick momentan völlig von der Außenwelt abgeschnitten.«
    Nachdem sie gegessen hatten, führte Carnahan sie zu den Gästezimmern. Über die Treppe im Eingangsbereich gelangten sie ins obere Stockwerk. Dort wies Carnahan ihnen zwei unmöblierte Zimmer zu.
    »Was für eine geruhsame Nacht noch fehlt, sind zwei Luftmatratzen und einige Decken«, sagte er. »Beides kann ich Ihnen gerne zur Verfügung stellen.«

8
    Am nächsten Morgen erwachte Cotton kurz vor Sonnenaufgang und trat an das Dachfenster seines Zimmers. Hätte der Blizzard an Heftigkeit nachgelassen gehabt, hätte er statt des sturmgepeitschten Schneegestöbers die Sonne über dem Meer aufgehen sehen können, wie sie die Wellen

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