Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
Rüstung. Er fragte sich, weshalb er sie vorher nicht gesehen hatte. Sie befand sich an der Stirnseite der Höhle, genau gegenüber dem Kopf der Drachenstatue. Die Nische war über mannshoch und ein aus dem gewachsenen Stein geschnittener Thron bildete die Mitte. Auf dem Thron saß eine Rüstung, wie sie vor Jahrhunderten getragen worden war. Die Rüstung eines Kriegers. Keine prächtige Rüstung wie für einen König, sondern die eines Kriegers. Sie war gezeichnet von den Narben brutaler Kämpfe, eingekerbt von Schwerthieben oder den Schlägen von Äxten, mit Scharten und von Rost zerfressen. Das Visier des Helms war hochgeklappt und Grothe blickte in die leeren Augenhöhlen eines Totenschädels. Auf der Spitze des Helms befand sich das Abbild eines Drachen. Grothe blickte sich zu dem riesigen Standbild hinter ihm um. Der Größenunterschied war täuschend, aber es war derselbe, der eine riesenhaft und aus Stein gehauen, der andere aus Bronze gegossen, doch es waren beides Abbilder von gleichem Aussehen.
Grothe ahnte, dass dies eine tiefere Bedeutung hatte, aber welche? Er knurrte und wandte sich von dem vor langer Zeit Gestorbenen ab. Was ging es ihn an? Er war ein einfacher Landsknecht gewesen, er war verwundet worden und hatte seine Hand verloren und als Dank war er in der Gosse gelandet und hatte sein Leben in einem elenden, vergessenen Dorf am Ende der Welt verbracht. Das Schicksal hatte ihm ein paar Goldtaler in die ihm verbliebene Hand gelegt und er wollte verdammt sein, wenn er diese Chance nicht beim Schopf packte! Grothe raffte die eingesammelten Waffen zusammen, schnürte sie zu einem Bündel, das er auch mit einer Hand tragen konnte und machte sich aus dem Staub, so schnell er konnte. Sein Glück mochte er dort draußen finden oder auch nicht, aber hier unten gab es für ihn nichts mehr zu holen.
5. Kapitel
Halef Omar fluchte und wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Seit mehreren Tagen schon schlich er durch dieses von Allah verdammte Land und suchte einen Weg zurück zu seiner Truppe. Er war dem Gemetzel nur um Haaresbreite entkommen, das Vlad, der Pfähler, unter den Muslimischen Truppen angerichtet hatte. Er bewegte sich in den Schatten und nur nachts, denn allein seine Kleidung wäre sein Todesurteil, wenn er den Christenhunden in die Hände fallen würde! Sie würden ihm einen zugespitzten Pfahl in den Hintern stoßen und ihn jämmerlich und unter unsäglichen Schmerzen krepieren lassen.
So, wie es Sultan Mehmed mit ihnen getan hatte. Halef Omar war gebildet genug, um zu wissen, dass es so oder so Unrecht war, aber was konnte er schon dagegen tun? Nicht Allah und nicht der Gott der Christen würde das billigen, was weltliche Herrscher in ihrem Namen taten. Mochten sie über die Taten der Menschen urteilen, wenn sie erst tot waren, aber er, Halef Omar, wollte leben, so lang es nur eben ging! Hatte nicht der Prophet, Allah schütze ihn, gesagt, der Muslim solle Christen und Juden ehren, denn sie beteten alle zum selben Einen Gott? Wer nun recht hatte in seiner Art der Verehrung, das konnte Halef nicht beurteilen und wollte es auch nicht!
Er schob seinen Turban zurück, der vom andauernden Regen durchtränkt war und ihm immer wieder in die Stirn rutschte, und seufzte schwer. Ihm war kalt und er fror. Seine Kleidung war für wärmere Gegenden gedacht, nicht für dieses kalte, unbarmherzige Land! Sein Krummschwert begann schon Rost anzusetzen und seine Sandalen lösten sich bei jedem Schritt mehr auf. Nicht mehr lang und er würde barfüßig weiterlaufen müssen! Die Wolken verdeckten den Blick zum Himmel bei Tag und Nacht, so dass es ihm unmöglich war, die Himmelsrichtung zu bestimmen. Er wusste nicht mehr, ob er nach Osten oder Westen ging. Er konnte nur hoffen, dass er Glück hatte und irgendwo auf weitere Truppen des Sultans traf, denen er sich anschließen konnte.
Halef Omar bückte sich unter herabhängenden Zweigen hindurch, da stockte ihm der Atem. Vor ihm lag eine Lichtung, auf der die Ruine eines Turmes aufragte. Vorsichtig sah er sich um. Sein Puls beruhigte sich schnell wieder, als er feststellte, dass der Turm schon vor langer Zeit aufgegeben worden war. Efeu war in die Fensteröffnungen gewuchert und die ehemals feste Tür im Eingang zum Turm hing schief in den rostenden Angeln. Trotzdem schlich er sich vorsichtig näher. Auch wenn der Turm verfallen war, konnten doch Christen in der Nähe sein. Halef Omar zog sein Krummschwert aus der ledernen Scheide und hieb sich einen Weg
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