Leichentuch: Band 2 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
Herkunft. Er war ein Mann, der nicht viel Aufhebens um sich machte und dem seine Berühmtheit eher unangenehm zu sein schien.
Er nannte sich Michael von der lieben Frau, seit er sich uns angeschlossen hatte, was aber nur die deutsche Übersetzung seines französischen Geburtsnamens war. Sein Ruf als Pestarzt war immens, sein Name in ganz Europa geachtet. Er sprach Deutsch mit nur leichtem Akzent, sodass ihn kaum jemand für einen Franzmann gehalten hätte, der nicht über ein gewisses Maß an Bildung verfügte. In Montpellier, wo er zu Hause war, kannte man ihn als Michel de Notre-Dame. Die gelehrte Welt kannte ihn als Nostradamus. „Michael, wie weit, meint Ihr, haben wir es noch?“ wandte ich mich an den berühmten Mann. Nostradamus, der alles andere als ein geübter Reiter war, lenkte sein Pferd neben das meine und hielt das Tier an.
Er trug einen weit geschnittenen Kutschermantel und einen seltsam anmutenden Hut mit hochgeschlagener Krempe, der sein Gesicht fast völlig verhüllte. „Wenn ich mich recht entsinne“ sagte er mit seiner leisen, singenden Stimme, bei der sich das „ch“ immer beinahe wie ein „sch“ anhörte. „Wenn ich die Karten richtig im Kopfe habe, dann sollte sich Cetatea Poenari am Ende dieses Tals befinden. Vielleicht noch eine gute Stunde des Weges.“
Ich nickte und sah zu Rebekka hinüber, die ihr Pferd ebenfalls angehalten hatte. „Ihr habt es gehört?“ Rebekka nickte stumm. Sie gab dem Pferd die Sporen und ritt wortlos an mir vorbei. Noch immer lag der Geruch von Verwesung in der klaren Nachtluft, wenn auch nicht mehr mit der gleichen Penetranz, die er zwischen den gepfählten Kadavern gehabt hatte. Rascott lenkte seinen Falben an mir vorbei und hob kurz die Hand. Er war kein Mann von vielen Worten und es erstaunte mich, als er mich ansprach.
„Lasst uns den Rest des Weges nur so schnell wie möglich hinter uns bringen. Je eher wir diesem unheiligen Ort den Rücken kehren, desto besser! Außerdem muss ich gestehen, dass ich einen nicht unbeträchtlichen Hunger verspüre und, ich gebe es gern zu, mich der Arsch schmerzt! Wir sitzen seit dem Morgengrauen im Sattel und ich wünschte mir schon, ich könnte mit meinem Pferd tauschen!“ Mein Diener Heinrich nickte. „Ich schließe mich dem Herrn von den Inseln an.“, brummte er.
„Je eher mein Hintern sich aus diesem Sattel erheben kann, desto besser!“ Ich drückte die Schenkel leicht zusammen und mein Pferd setzte sich in Bewegung. Michel hatte sich nicht verschätzt. Nach gut einer weiteren Stunde erreichten wir die Festung, die sich wie ein schwarzer Schatten gegen den Nachthimmel abzeichnete. Die Zitadelle lag auf einem Bergrücken und einige erleuchtete Fenster wiesen uns den Weg. Der Anstieg war steil und unsere erschöpften Pferde mühten sich, doch endlich standen wir vor den Toren von Poenari. Die Fallgitter waren herabgelassen, doch standen die Wachen an den Seiten und sahen uns kommen. Wir wurden erwartet und man hatte sie angewiesen, uns Einlass zu gewähren. Pflichtbewusst fragte mich der Befehlshaber der Nachtwache nach dem ausgemachten Passwort, ohne dessen Nennung er uns keinen Einlass gewähren durfte. „Draculea.“, antwortete ich und der Wachhabende nickte kurz. Knirschend hob sich das schwere Eisengatter und wir ritten in den Burghof.
Obwohl es weit nach Mitternacht war, kamen die Stallknechte und führten die erschöpften Tiere in die Stallungen. Ein hochgewachsener Mann begrüßte uns im Namen seines Herrn und bat uns, ihm zu folgen. Ein Mahl sei für uns bereitgehalten worden und sein Herr erwarte uns schon. Schweigend folgten wir dem finster dreinblickenden Mann durch die von Fackeln beleuchteten Gänge in einen Saal mit hoher Decke. Eiserne Leuchter mit Dutzenden von Kerzen tauchten den Raum in ein flackerndes Licht. In einem über mannshohen Kamin brannte ein wärmendes Feuer. In der Mitte des Saals stand ein mächtiger Eichentisch, an dessen Ende unser Gastgeber auf uns wartete.
Als wir eintraten, erhob er sich und kam uns entgegen. Er nickte dem Mann zu, der uns hereinbegleitet hatte, woraufhin der wortlos verschwand. Knarrend schloss er die Eichentür hinter sich. „Lang ist es her, dass wir uns zuletzt sahen!“ Vlads Stimme war tief und klangvoll. Seine dunklen Augen musterten mich eindringlich. „Die Zeit ist gnädig mit Euch umgegangen, Freiherr.“ Ich lachte leise. „Das mag Euch so erscheinen, Vlad, doch glaubt mir, wenn ich sage, dass dies nur der äußere Schein ist!“ Ein
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