Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Nach einer Weile hörte sie ihre Eltern die Treppe heraufkommen und durch den Flur zu ihrem Zimmer gehen, zuerst die leichten, flinken Schritte ihrer Mutter und dahinter den schwereren, ungleichmäßigeren Gang ihres Vaters. Die Tür schloss sich hinter ihnen, und sie hörte das leise Murmeln ihrer Stimmen, die unbekannten Töne, die sie nur benutzten, wenn sie miteinander sprachen.

SAMSTAG

18 · Hinaus in die Ferne
    D ie Trauung war schön, wundervoll. Das sagten alle. Es hatte am frühen Morgen aufgehört zu regnen, und die Insel wirkte frisch und grün, das Meer wie neu. Winn hatte Daphne zum Altar geführt, ohne sein Humpeln zu verbergen. Er hatte überlebt, war äußerlich leicht verletzt, möglicherweise waren andere Versehrtheiten unsichtbar. Sein Bein wurde von einer dünnen, mit Leukoplast gesicherten Mullbinde zusammengehalten, mit der ihn seine Frau verbunden hatte. Vor dem Altar hatte er daran gedacht, Daphne zu küssen; er hatte sich in die luftige, helle Lücke unter ihrem Schleier gebeugt und ihre gepuderte Wange mit seinen Lippen gestreift.
    In einem weißen Zelt auf dem Steilufer am Atlantik saßen die Gäste auf goldfarbenen Stühlen an runden Tischen. Der Himmel rötete sich und wurde schwarz, und der Mond, schon ein wenig schief und abnehmend, malte eine leuchtendweiße Muschelstraße auf das Wasser, die den Weg nach Spanien wies. Sam Snead rief ihn zur Pflicht: Es wurde Zeit für den Tanz des Brautvaters mit der Braut. Er begab sich auf die Tanzfläche und baute sich vor Daphne auf. Die Musik begann, und er verschränkte seine Finger mit ihren. Die Knochen und Sehnen ihrer Hand erschienen ihm wie die kunstvoll gefertigten Gliedmaßen einer perfekten mechanischenPuppe. Er war sich der Härte ihrer kleinen Finger zwischen seinen bewusst, des Blutes, das durch ihre Adern floss. Seine zweite Hand ruhte auf ihrem Rücken, und ihr weiß verhüllter Bauch füllte den Raum zwischen ihnen. Während die Band die ersten Takte spielte und der Sänger im weißen Smoking das Mikrofon vom Ständer hob, blieb Winn unbewegt stehen und schaute über Daphnes Schulter auf die Gesichter der Gäste an den Tischen, eine Wand erwartungsvoller Ovale, hier und da von glitzerndem Schmuck und Kerzenflammen durchsetzt. Dann setzte der Sänger ein, und Daphne machte einen Schritt nach hinten. Sie zog ihn mit in die vertrauten Schritte und starrte beim Tanzen über seine Schulter. Er drehte sich mit ihr so, dass er in die Richtung sah, in die sie geschaut hatte, doch dort war nichts. Nur Tische und Gesichter. Sie schaute immer noch auf den gleichen Punkt, nun auf der anderen Seite des Raums, mit ruhiger und zugleich wehmütiger Miene, so als würde sie auf eine schwindende Küste zurückblicken. Er drehte sie noch einmal herum. Er wollte auch das sehen, worauf sie schaute, doch er sah nur Tische, nur Gesichter.
    Nun kamen auch Maude und Greyson auf die Tanzfläche, und dann Biddy mit Dicky senior. Francis hielt Agatha in den gierigen Fingern, und Dryden wirbelte gekonnt die geschmeidige Dominique durch den Raum. Livia schwenkte in den Armen des Trauzeugen Charlie vorbei. Winn drehte Daphne aus, und sie drehte sich gehorsam zurück und legte die Hand auf seine Schulter. Die Blumen, die Kerzen, der leichtherzige Rhythmus der Musik, das perfekt geschminkte Gesicht seiner Tochter, ihr kunstvoll frisiertes Haar, die Rundung ihres schwangeren Bauches – das alles schrie nach Liebe, nach Stolz, nach väterlicher Zärtlichkeit, auch wennDaphne ihn nicht ansah, auch wenn sie sich in ihr Glück einmauerte und ihn draußen ließ. Er wusste nicht, wie er es schaffen sollte, dass sie ihm vergab. Er würde warten müssen. Doch unterdessen konnte er tanzen, er hatte diesen Tanz schon als kleiner Junge als Contra Dance getanzt und mit Ophelia Haviland beim Silvesterball im Vespasian Club und als Bräutigam an einem Frühlingsabend in Maine und auch sonst tausendmal.
    Das Lied endete, und ein neues begann. Greyson kam, um ihn bei Daphne abzulösen, und Winn stand allein zwischen den Tanzenden, bis er auf einmal Livia im grünen Kleid in den Armen hielt. Zuerst schaute sie wie Daphne über seine Schulter, doch dann fanden ihre Augen die seinen. Zum ersten Mal in seinem Leben fragte er sich, was sie von ihm dachte, wirklich dachte, und die Frage erregte ihn so, dass ihn schwindelte, dass die Gesichter und Kerzen und Blumen um ihn herum verschwammen und Livias Augen den Ruhepol in der Mitte bildeten. Einen Augenblick lang verließ er seinen