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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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vermeidende Idiotie wäre, jetzt in Richtung See aufzubrechen, obwohl die Entfernung weniger als einen Kilometer betrug. Marks Gesicht leuchtete bei diesen Worten.
    Nach einem kurzen Palaver beschlossen wir dennoch, den Weg zum See zu suchen, denn hier lagen wir nicht nur den Kanus im Weg, sondern auch dem Verkehr, der ab morgens passieren würde, wenn die Schleuse wieder öffnete. Wir wussten alle – Henner etwas mehr als wir anderen –, dass das wirklich keine gute Idee war, denn der großartige Suchscheinwerfer war bestenfalls dafür geeignet, eine einzelne Person zu beleuchten, die in Bootsnähe im Wasser schwamm (vorausgesetzt, sie trug reflektierende Kleidung und das Schiff bewegte sich nicht), aber nicht den Weg zu irgendeinem See, an hoffnungslos unterbeleuchteten Flussabschnitten entlang. Trotzdem waren drei von vier Besatzungsmitgliedern überzeugt, dass wir es schaffen würden; Simon stimmte aus seiner Kabinezu, in der er laut herumfuhrwerkte, die auf dem Tisch liegenden Mobiltelefone vibrierten und polyphonierten. Mark übernahm das Steuer, wir fuhren äußerst langsam, während ich draußen auf dem Vordeck saß und den Scheinwerfer hin und her schwenkte. Das Allgäuer Autan wirkte bei mir besser als bei Henner, der neben Mark stand, mit zusammengekniffenen Augen ins Dunkel starrte und sich dabei beidhändig an Hals, Unterarmen und im Gesicht kratzte. Als wir die Anlegestelle geschätzt hundert Meter hinter uns gelassen hatten, erklangen von dort aufgeregte Schreie, und jemand brüllte etwas in einer Sprache, die nach Osteuropa klang. Aber niemand außer mir schien den Tumult wahrzunehmen, der alsbald außer Hörweite geriet.

    Es war echt gespenstisch. Der Motor lief leise, ich hörte das Gluckern des Wassers, das vor mir das Scheinwerferlicht reflektierte, und aus dem nahen Wald schienen alle möglichen Viecher nach uns zu rufen. »Ein bisschen links«, schlug ich vor, ohne sicher zu sein, aber ein Schatten rechts vor uns hatte nach einem mächtigen Baumstamm ausgesehen, der ins Wasser ragte. Immerhin zeichneten sich Konturen ab, wenn sich die Augen an das spärliche Sternenlicht gewöhnt hatten. In Berlin wurde es niemals auch nur annähernd so dunkel.
    »Aye!«, quittierte der Steuermann.
    Und dann zerriss plötzlich etwas die Stille, das mich ziemlich fassungslos machte: » Zehn nackte Friseusen – mit ganz, ganz feuchten Haaren «, krähte eine laute Stimme, begleitet von ebenso lauter, polternder Dumpfbackenmusik. Simon tauchte grinsend hinter einer Frontscheibe auf und nickte rhythmisch. »Anlage funktioniert!«, brüllte er.
    »Toll. Aber Mark am Steuer versteht mich nicht!«, brüllte ich zurück.
    » Was ?«
    Ich fuchtelte mit dem Zeigefinger in Ohrhöhe herum undwies mit der anderen Hand auf Mark. Simon sah uns beide nacheinander an, nickte dann und schaltete das Gejodel aus. Bevor ich die wohltuende Stille genießen und dem Mann am Lenkrad neue Anweisungen erteilen konnte, schlug mir etwas von hinten gegen den Schädel, außerdem spürte ich eine weiche, wabernde Masse, die meinen Kopf zu überziehen schien, kurz darauf knirschte es – wieder einmal.
    »Kontakt«, stellte Mark fest und stoppte auf. Ich griff nach meiner Schläfe, spürte Blut und ein leichtes Brennen, und außerdem klebte offenbar ein ziemlich reichhaltiges Spinnennetz in meinen Haaren. Der Ast, der mich erwischt hatte, kratzte kreischend über das Schiffsdach. Ich ging in die Hocke und blieb dort, denn Mark fuhr inzwischen rückwärts, was bedeutete, dass der Ast zurückkehren würde. Das tat er auch, Sekunden später.
    »Ist das alles an Licht?«, fragte Simon, den ich mit einer ganzen Phalanx Netzgeräte und Kabel neben Mark hantieren sah. »Ah!«, rief er gleich darauf. Auf dem Dach ging eine weitere Lampe an, und seitlich am Schiff erzeugten eine grüne und eine rote Leuchte fast so etwas wie Atmo. Und außerdem tauchte Henner todesmutig auf dem Vorschiff auf, mit einem mächtigen Mag-Lite in der Hand, beinahe so lang wie ein Baseballschläger. Er trug eine Art Regenkombi über seinen Klamotten nebst tief ins Gesicht gezogener Kapuze. Gegen den Schiffsscheinwerfer war das Mag-Lite wie die Sonne im Vergleich zum Mond. Der Pfarrer zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Hätte ich früher draufkommen können.«
    In diesem Moment flackerte es am Horizont, vermutlich in Richtung des Wasserwanderplatzes: Für ein paar Sekunden tauchten die Konturen des Waldrands vor einem zitternden, sich rasch wieder verringernden

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