Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
schlammigem Schrot darauf geschossen. Die Zähne wirkten stummelig, porös, waren schwärzlichdunkelgelb und ziemlich schief. Um das kräftige Brot überhaupt – ausschließlich mit dem Oberkiefer – zerbeißen zu können, musste er redliche Mundgymnastik betreiben. Er bemerkte meinen Blick, zuckte entschuldigend die Schultern und bemühte sich, den Mund beim Kauen zu schließen. Das gelang nur für ein paar Sekunden. Zwischen einigen weiteren Bissen Brot und dem Hauptgang inhalierte Simon eine Zigarette. Hinter ihm, im Küchenregal, lagerten zehn Stangen Gauloises – sein Vorrat, vielleicht sogar nur für die ersten paar Tage.
Henner klappte die rätselhafte A3-Gewässerkarte zu und streckte sich theatralisch.
»Ich werd dann mal«, erklärte er und sah auf die Uhr. Meine zeigte kurz vor Mitternacht. Simon nickte mampfend, im Aschenbecher neben seinen Rühreiern qualmte eine weitere Gauloises . Mark schnappte sich die Karte und winkte. Der Pfarrer stand auf und hangelte sich vorsichtig die vier Stufen zum Gang hinunter, aber er schlug trotzdem mit der Stirn an.
»Vorsicht«, sagte Mark.
»Gute Nacht«, sagte ich.
Wir saßen noch ein Stündchen und quatschten über die Ereignisse des Tages, wobei wir noch ein, zwei Bierchen tranken und Simon nicht weniger als eine ganze Schachtel Zigaretten verkohlte. Er ließ sich allerdings dazu überreden, seine diversen Telefone, die über ein fragiles Adaptergerüst mit der 12-Volt-Steckdose am Steuerstand verbunden waren, wenigstens auf Vibrationsalarm umzuschalten. Immerhin hatten sie während der vergangenen zwei Stunden keinen Pieps von sich gegeben. Ich war ein wenig in Sorge, ob es die Schiffsbatterie überleben würde, eine ganze Phalanx Telefone aufzuladen. Mein Telefon zeigte einige weitere Anrufe in Abwesenheit, fast alle von Cora, und außerdem ein halbes Dutzend Kurznachrichten. Ich ignorierte die Nachrichten, aber ich hätte ohnehin nicht antworten oder zurückrufen können – mein Handy hatte keinen Empfang.
Fast alle nautischen Begriffserklärungen bei den Kapitelüberschriften stammen aus »Seemannssprache«, Dietmar Bartz, Delius Klasing.
Tag 2:
Treideln
Treideln – das Ziehen von
Schiffen auf Wasserwegen durch Menschen oder Zugtiere.
Ich erwachte ziemlich erfrischt, hatte aber keine Ahnung, wo ich mich befand. Es dauerte beinahe eine Minute, bis ich realisierte, in einer engen Kabine an Bord der Dahme zu sein, zusammen mit Henner, Mark und Simon. Kurz darauf verspürte ich einen intensiven Anflug von Heimweh. Dabei ging es weniger um Cora, an die ich jeden Gedanken verdrängte, sondern um die stabile Sicherheit meiner heimischen Behausung, darum, einfach ganz allein tun und lassen zu können, worauf ich Lust hätte, mich in meinen eigenen vier Wänden zu bewegen, still vor mich hin zu trauern und jede Menge Mousse au Chocolat zu futtern. Für einen plausiblen Grund, das Schiff auf der Stelle zu verlassen, hätte ich in diesem Augenblick einiges gegeben. Ich zog den Siebziger-Vorhang beiseite, diese braun-orangefarbene Schandtat. Die Sonne schien, der Himmel war blau, das konnte ich sogar durch das intensiv kondenswassergetränkte Fenster erkennen. Ich schob es ein Stück auf. Die Luft war lau und äußerst frisch. Die Heimwehgedanken relativierten sich etwas. Ich putzte mir an dem kleinen Waschbecken, über das meine Kabine verfügte, die Zähne, und pinkelte anschließend hinein, wie ich das in der Nacht, wie mir jetzt einfiel, auch zwei- oder dreimal getan hatte. Die Handpumpen, mit denen die Klos entleert wurden, machten nämlich ordentlich Radau, und ich nahm an, der Erste von uns zu sein, der das morgendliche Sonnenlicht über dem See erblickt hatte.
Im Salon roch es intensiv nach altem Rauch, obwohl die Hecktüren bereits geöffnet waren. Auf dem Tisch lagen noch die Chipstüte und die Gewässerkarte, umstanden von unseren letzten Bierflaschen, daneben der überquellende Aschenbecher. Ich entdeckte Simon, der auf dem Vordeck stand,kletterte heckwärts zum schmalen Gang, der an den Kabinen vorbei nach vorne führte. Der Boden war feucht und deshalb glitschig, so dass ich mich an der Reling festhalten musste, und außerdem seltsam schwarz gepunktet. Auf dem mächtigen Vordeck sah es ähnlich aus. Simon stand dort und hielt beide Arme in die Luft gereckt, jede Hand mit drei Mobiltelefonen ausgestattet. Als er mich sah, nickte er erst in meine Richtung und dann in die der Schiffsaufbauten.
»Fettes Täubchen«, meinte er anerkennend, und dann,
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