Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
mit leiser Stimme vor, aber ihre Mimik verriet, dass sie nicht viel Hoffnung hatte, glaubhaft zu sein. Sie streckte eine Hand nach mir aus, stoppte aber auf halber Strecke.
»Ich bin einfach verzweifelt, Finke«, sagte sie flehend – selbst in dieser Situation gab sie ihre Eigenart, jeden mit dem Nachnamen anzureden, nicht auf. »Warum bist du so hartherzig in dieser … Sache ?«
»Hartherzig?«, fragte ich verblüfft zurück. » Hartherzig ?«, wiederholte ich, um das Wort auf mich einwirken zu lassen. »Hartherzig ist jemand, der ohne Verzicht retten könnte, es aber dennoch nicht tut«, sagte ich langsam und ziemlich mühevoll, denn erst jetzt öffneten sich meine emotionalen Schleusen. Von einer Sekunde auf die andere wurde ich zornigund traurig, fühlte mich auf abscheuliche Weise betrogen, war äußerst verunsichert, aber zugleich verspürte ich seltsamerweise Mitgefühl, empfand diese hinterhältige Attacke auf meine Entscheidungsfreiheit als irgendwie rührend, wurde das Bild von der kleinen Person, die summend Kondome zersticht, um mir einen Entschluss abzunehmen, den sie längst für mich getroffen hat, einfach nicht los. Ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken in Ordnung zu bringen, aber das misslang natürlich.
Und dann stritten wir uns. Es war der erste – und bisher letzte – richtige Streit, den wir führten, ein lautes, unschönes, mit verschütteten und verdrängten Vorwürfen angereichertes Wortgefecht, begleitet von Tränen, Schluchzen, knallenden Türen, gebrüllten Anklagen, idiotischen Beleidigungen und einer Viertelstunde andauernden, ziellosen Verfolgungsjagd durch die Wohnung, Cora im Negligé voraus, ich hinterher, beide brüllend, weinend, weit jenseits der Fassungslosigkeit.
Schließlich zog sie sich an und verschwand unter weiteren Tränen in ihrem Arbeitszimmer, ich setzte mich vor den Fernseher und zappte eine Stunde lang durch den Asozialenhorror, zu dem Fernsehen geworden ist, ohne auch nur eine Szene wahrzunehmen. Meine Augen brannten, ich vertilgte fünf Becher Mousse von Merl , bekam Sodbrennen, duschte heiß und dann kalt, verließ die Wohnung und kehrte umgehend zurück. Ich hatte keinen besten Freund, mit dem ich sprechen konnte, nur Bekannte , die höchstens ein paar Gemeinplätze absondern würden, und Alkohol würde mich nur tiefer ins Verderben stoßen. Also ging ich früh ins Bett, in dem ich auch noch allein lag, als ich am nächsten Morgen völlig erschlagen und ziemlich traurig aufwachte.
Am Abend erwartete sie mich mit einem vorzüglichen Dinner, entschuldigte sich pausenlos, bat mich auf eine Weise um Verzeihung, der selbst ein hartherziger Mensch nicht hätte widerstehen können. Wir gingen ins Kino, sahen einen rührendenfranzösischen Film, und nach einer Viertelstunde tastete sie vorsichtig nach meiner rechten Hand. Danach, im Foyer des Lichtspieltheaters, küssten wir uns auf die Art, wie wir das vier Jahre zuvor stundenlang getan hatten, strichen die Haut unserer Wangen aneinander, eine Geste der Vertrautheit, die mich vorübergehend vergessen ließ, was gestern geschehen war. Doch der Stachel steckte im Fleisch, nicht nur in meinem: Während der kommenden Tage, der letzten vor dem Antritt ihrer kleinen Tour, änderte sich etwas zwischen uns. Cora nahm Termine wahr, über die sie mich nicht informierte, blieb Abende lang weg, ohne das Mobiltelefon einzuschalten, roch nach Rauch, säuerlichem Alkohol und fremden Düften, wenn sie spät heimkehrte. Ich ließ nicht zu, dass diese Wahrnehmungen mein Bewusstsein erreichten, gab stattdessen der verlockenden Aussicht auf eine neue, ungewisse Freiheit nach, spielte Gedankenspiele, in denen Cora nicht mehr vorkam. Ich tat das nicht, weil ich es wollte, sondern weil ich konnte .
Und Sex hatten wir auch keinen mehr. Dafür rief Rosa an, Coras Mutter. Am Abend vor der Hausboottour.
Tag 3:
Kabbeln
Kabbeln – das Gegeneinanderlaufen
von kurzen Wellen.
Ich saß schon seit über einer Stunde auf der Bank am Bug, schlürfte aus einem von Simons Pötten Kaffee und fütterte eine für menschliche Verhältnisse asoziale Entenfamilie – neun Kinder – mit den Resten der Aufbackbrötchen, als das nächste Mannschaftsmitglied erschien, die Augen gegen das helle und vom Wasser reflektierte Sonnenlicht abschirmend: Simon. Der Kaffeetopf in seiner Hand zitterte wie auch die unvermeidliche Fluppe zwischen seinen Lippen, und er war, wenn das möglich war, sogar noch blasser als vorher.
»Scheiße«, sagte er mit leicht
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