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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Vertrautheit vermittelnde Zärtlichkeit, eine einfach hinreißende Form von Geben, die alles, was mir bis dahin passiert war, zu simplem Pimpern degradierte. Ich verliebte mich in Cora; umgekehrt war das, wie sie mir später erzählte, in dem Augenblick geschehen, als sie mich eine halbe Stunde vor dem Auftritt – und von mir unbemerkt, aber auch unabsichtlich – dabei belauscht hatte, wie ich mit der promisken Greta Meggs schwätzte. Mit Meggs, in derenHochachtung ich enorm gestiegen war, seit ich ihr Angebot abgelehnt hatte, pflegte ich eine seltsame unprivate Freundschaft, nahm quasi die Position des schwulen Friseurs ein, als ich an diesem Abend ihrem Nicken in Richtung diverser Männer hinterherschaute und jede Auswahl kommentierte, meistens auf ironische Weise freundlich und darauf bedacht, dass sie keinen Schaden für die Firma oder für ihr Selbstbewusstsein riskierte.
    So trat Cora in mein Leben, okkupierte es allmählich und begann damit, es auf amüsante, aber auch anstrengende Weise zu verändern. Ein halbes Jahr nach dem Firmenjubiläum zogen wir zusammen, vereinten Musiksammlungen, Fernsehpräferenzen, Essensgewohnheiten, sportive Optionen (meinerseits bis dahin: null – die Sache mit dem Badminton war letztlich ihre Idee) und Ausgehvorlieben, wobei Cora zwei Drittel bis vier Fünftel der Aspekte füllte und ich ein Rückzugsgefecht führte, um gelegentlich noch Metal hören, Actionfilme sehen und tischtenniskellengroße Steaks futtern zu können. Aber das fiel mir – vor allem anfangs – nicht sehr schwer, denn mit ihrer liebenswürdigen, immer in Zärtlichkeiten eingebetteten Vorgehensweise ließ sie jedes Stückchen, auf das ich verzichtete, als Teil eines mühseligen Langstreckenlaufs erscheinen, der zu einem gewaltigen, alles in den Schatten stellenden Triumph führen würde, unterwegs schmackhaft gemacht durch koitale Appetithäppchen. Was sie mir ließ und nie mit einem Wort kommentierte, das war meine zu dieser Zeit aufkeimende Sucht nach Mousse au Chocolat, das ihr glücklicherweise selbst überhaupt nicht schmeckte.
    Ihre kurze Berühmtheit mündete ein halbes Jahr später in etwas, das ich laienhaft für eine Depression hielt. Cora stellte die Band um, schrieb nächtelang an Songs, die sie am Morgen darauf wegwarf, stritt sich mit den Bookern , Veranstaltern und Agenturen. Die Größe der Locations, für die Ugly Carpet gebucht wurde, sank innerhalb weniger Monate von dreitausend auf zwei-, dann eintausend Zuschauer, unterschritt kurz darauf auch diese Zahl bis nur noch Angebote von Clubs, Privatveranstaltern und Erlebnisgastronomen eintrafen. Das neue Album wurde mehrfach verschoben, bis mir Cora eines Abends verkündete, eine Kreativpause einzulegen. Wir sprachen oft über ihre und meine Arbeit, und ich hatte sie zu einigen Auftritten begleitet, aber ansonsten blieb das so sehr ihres, wie es meines war, Übersetzungen finnischer Fachbücher zu redigieren oder australischen Journalisten Lizenzangebote zu unterbreiten.
    In der Folge intensivierte sie ihr Interesse für unser gemeinsames Leben auf rührende Weise, denn sie mühte sich damit ab, mich von ihren Entscheidungen zu überzeugen . Lange, nicht selten äußerst originelle Argumentationsketten führten schließlich zu etwas, das nach Vorschlag klingen sollte, eigentlich aber längst in Stein gemeißelt war. Ich nahm das in Kauf, genoss die Behaglichkeit und Coras körperbetonte Sanftheit, ertrug ihre äußerst bescheuerten Eltern, wenn sie uns – zum Glück selten – besuchten, und hatte mich letztlich damit abgefunden, abends nach dem gemeinsamen Essen einer Idee zu lauschen, deren Umsetzung bereits beschlossene Sache war.
    Sie rappelte sich künstlerisch wieder etwas auf, unterschrieb einen Vertrag bei einem kleineren Label, veröffentlichte ein solides Album, ging auf eine Tour, die hauptsächlich sehr anstrengend war, ließ sich aber auch wieder für Galas buchen, hatte Gastauftritte in Fernsehfilmen, sang sogar ein paar Werbespots ein. Aber ich spürte, dass die Musik zu einer Nebensache zu werden begann, was mich stark irritierte, denn ich hatte das für nicht weniger als ihr primäres Lebensziel gehalten. Coras Konzentration auf unser Privatleben nahm weiter zu, sie wechselte das Outfit, ließ sich die pfirsichfarbenen Haare in Schulterblatthöhe abschneiden – ichweinte still in der Toilette, nachdem ich ihr mit eingefrorenem Lächeln zu der Entscheidung gratuliert hatte – und traf mehr und mehr Verabredungen mit

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