Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
Vom Netzwerk:
ausgedrückt. Es war überhaupt das erste Anzeichen für Berufsschifffahrt, das ich entdeckte, von den Bauschiffen in der Steinhavel abgesehen. Von den Spreebrücken in Berlin aus konnte man massenweise Lastkähne beobachten – wo waren die? Umfuhren sie dieses Revier?
    Kurz darauf kam die Wartestelle der Schleuse Templin in Sicht, rechter Hand und in einer Kurve gelegen – die Schleuseneinfahrt selbst war nicht zu sehen. Ein kleineres Hausboot in Jachtbauweise und mit großflächiger Werbung für den Charterer, etwa fünf Meter lang und offenbar aus Kunststoff, bollerte mit jaulendem Motor und kreischendem Bugstrahlruder mehrfach gegen die Pfähle, drehte sich, fuhr rückwärts, schoss viel zu schnell abermals auf das Ufer zu und kollidierte wieder mit den Holzbohlen, an denen man eigentlich festmachen sollte. Von den großen Plastikballons, die als Prallschutz rund um das Boot hingen, den Fendern , erklang Quietschen und Stöhnen. Eine junge, dicke Frau im schwarzen Bikini und mit Kurzhaarfrisur stand am Bug, eine Hand an der Reling und mit der anderen eine blaue Leine umklammernd, widerstand schwankend, aber stoisch den Versuchen ihres Skippers, sie über Bord zu schleudern, während am Heck ein blasses, auch nicht gerade schmales Kind saß und sorgenvolle Blicke zu uns herüberwarf. Der Mann am Steuer, noch dicker als sein Weibchen und mit einem verdammten String bekleidet, kämpfte schwitzend mit Ruder und Gashebel, ließ mal das Heck und dann wieder den Bug gegen die Wartestelle krachen, bis der Motor abstarb, das Boot ganz von allein gegen den vordersten Pfahl ditschte und die Bikinifrau die Gelegenheitnutzte, die Leine drüberzuwerfen, noch eine Schlinge zu legen und das Ende in einer flinken Bewegung beidhändig zu ergreifen. Sie entspannte sich nicht, denn sie schien zu ahnen, was noch kam: Der Mann hatte die Maschine wieder angeworfen, den Hebel mit einem Ruck nach hinten geschleudert, so dass der Kahn einen kurzen Satz machte, direkt auf uns zu, aber wie ein Wachhund an der Leine wurde er kurz darauf zurückgerissen – Pfahl, Leine und Bikinifrau widerstanden. Das Kind hielt sich panisch fest, der Motor tobte, reichlich Wasser hinter dem Schiff zu Schaum schlagend, dann erkannte der Mann am Ruder, dass keinen Sinn hatte, was auch immer er da versuchte, schaltete in den Leerlauf, kletterte zum Kind hinunter, dem er im Vorbeigehen kurz über die Haare strich, griff nach der Leine und sprang in Richtung Land – und zwar ins Wasser, vermutlich begünstigt durch den Rückstoß, den sein massiger Körper dem leichten Boot verpasste, dessen Heck dadurch etwa in der Kanalmitte ankam. Just in diesem Augenblick schob sich der mächtige Bug eines Ausflugsdampfers in mein Blickfeld, aus der Schleuse kommend, begleitet von einem satten, tiefen Hupton. Wenn er nicht anhalten würde, wäre eine Kollision mit dem kleinen Hausboot unausweichlich, denn der Kapitän des Dampfers konnte es unmöglich sehen, deshalb schaltete ich erst die Scheibenwischer und dann irgendeine Lampe an, bis ich den Knopf für unser Signalhorn fand und es mehrfach kurz nacheinander ertönen ließ – ein krächzendes »Mähhg! Mähhg!«, kein Vergleich mit dem satten Horn des Dampfers. Ohne es zu ahnen, hatte ich intuitiv das Schallsignal für »Gefahr eines Zusammenstoßes« gegeben; der Dampfer stoppte sofort auf. Der Schiffsführer vor uns, noch immer die Leine in der Hand, kletterte mühselig an Land, zog das Heck seines Schiffs aus dem Weg und warf mir anschließend einen dankbaren, maßlos gehetzten Blick zu. Ich legte kurz den rechten Zeigefinger an die Stirn und ließ ihn in seine Richtung schnippen. Dannbrüllte ich »Alles wieder frei!« und hoffte, der Steuermann des Fahrgastschiffs könnte es hören. Kurz darauf setzte sich der Pott langsam in Bewegung, und bei all der Retterei hatte ich völlig vergessen, dass wir selbst noch nicht festgemacht hatten. Simon vorne und Mark hinten waren ebenfalls damit beschäftigt gewesen, die Szenerie mit offenen Mündern zu verfolgen, vermutlich noch geistig gelähmt vom Alk. Ich schlug nach links ein, gab Bugstrahl nach rechts und leichtes Gas voraus, wodurch wir sanft an die Pfähle trieben – gerade noch rechtzeitig, damit das von hier aus beeindruckende, aus anderer Perspektive möglicherweise längst nicht so tolle Schiff Platz genug hatte, um an uns vorbeizukommen. Die Schleusenampel wechselte auf Grün, der Motor vor uns jaulte, und dann ging der ganze Spaß von vorne los: ein Satz

Weitere Kostenlose Bücher