Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
Bekannten, die Kinder hatten. Nicht wenige Sonntagnachmittage verbrachten wir damit, den Horden von Kevins und Sarahs, um die die Leute, die ich bis dahin für halbwegs vernünftig gehalten hatte, ihr beschauliches, vor allem funktionierendes Zweierdasein erweitert hatten, beim Windelvollscheißen zuzusehen, und jedes Blubbergeräusch, das entfernt nach Silbe klang, frenetisch mitzufeiern. Diese Idee konnte mir Cora nicht einfach anhand eines Zeitungsartikels oder einer Fernsehdoku schmackhaft machen. Sie wusste, dass ich keine Kinder wollte. Nicht, dass ich es nicht attraktiv fand, eines zu bekommen, denn wie jeder Mann hielt ich das für einen unbestreitbaren, wenn auch völlig sinnlosen Beweis meiner Potenz – nein, es ging darum, die Scheißbären auch zu behalten , und an dieser Stelle versagte ich ihr jedes Entgegenkommen. Immerhin konnte ich darauf verweisen, dies von Anfang an klargestellt zu haben, aber Cora zeigte eine Beharrlichkeit, die an Stoizismus grenzte. Mit ihren Versuchen allerdings, mich vom Glück der anderen mitreißen zu lassen, legte sie eine furiose Bauchlandung hin, denn selbst eine siebenstellige Summe in bar hätte ich nach einem dieser Nachmittage zwischen Gesabber, Geschrei und geflüsterten Gesprächen (weil der Nachwuchs für ein paar Minuten schlief) abgelehnt, wenn ich als Gegenleistung selbst so ein krakeelendes Prachtbaby hätte zeugen sollen.
Wir verhüteten mit Präservativen, eine Angewohnheit, die ich schon als Sechzehnjähriger angenommen und die sich für mich zu einem erotischen Ritual entwickelt hatte. Der Grund für diese Entscheidung – der AIDS-Tod eines heterosexuellen Klassenkameraden kurz vor dem Abitur – war beinahe vergessen, aber Sex ohne Kondom konnte ich mir nicht mehr vorstellen. Ich empfand den Moment des Überstreifens – bevorzugt durch die Partnerin – als lustvoll, probierte Variationenaus, von Gummis mit Mangogeschmack bis hin zu solchen, die beinahe die Konsistenz von Schutzhandschuhen hatten (nicht sehr empfehlenswert), und betrachtete das, vom gesundheitlichen Aspekt abgesehen, der in unserer Beziehung rasch in den Hintergrund trat, denn wir waren einander treu, als willkommenen Zusatzschutz vor unfreiwilliger Empfängnis. Cora nahm außerdem die Pille. Beides waren Selbstverständlichkeiten, also keineswegs Themen, und wir diskutierten es nie, jedenfalls nicht direkt: Natürlich benutzte Cora nicht nur die Kevin-Nachmittage, um mich an den Gedanken der Vaterschaft heranzuführen, sondern sagte auch hin und wieder ganz klar, dass ihre Biouhr tickte und sie es sich durchaus vorstellen könnte, ein Kind zu bekommen. Mindestens eins. Von mir. Ich argumentierte dagegen an, aber das, was ich tatsächlich dachte, verschwieg ich ihr: dass ich mich nämlich eigentlich noch längst nicht mit dem Gedanken abgefunden hatte, den Rest meines Lebens mit ihr zu verbringen, dass ich noch einen ziemlich großen Curt Henderson in mir spürte, der jederzeit an einer Straßenecke auf die Frau seines Lebens treffen könnte, dass ich, mit Anfang vierzig, noch nicht die Türen für alle möglichen Optionen zuschlagen wollte, von denen ich die meisten nicht einmal kannte.
Sie begann damit, meine Kondome zu verstecken oder wegzuschmeißen (»Bist du sicher , dass da noch welche waren?« – »Mmh, wenn wir seit Montag nicht vierzigmal gevögelt haben, müssten da eigentlich noch welche sein.«), um am Abend, nach meinen Lieblingsserien wie »Navy CIS« oder »Twentyfour«, eine Verführung zu starten, ohne Gummischutz. »Wird schon nichts passieren«, flüsterte sie wiederholt in mein Ohr, das anschließend zum temporären Zuhause ihrer gesangstrainierten Zunge wurde, praktisch der Auslöseschalter für meine Schwellkörper, wie sie ganz genau wusste. Ich begann im Gegenzug damit, mir regelmäßig neue Packungen zu kaufen, die ich ebenfalls versteckte, um in solch einemAugenblick aus dem Küchenschrank, meiner Laptoptasche, der Vorratskammer, der Sockenschublade oder einfach unter dem Bett einen neuen Vorrat hervorzuzaubern und zu ihrem »Wird schon nichts passieren« leicht ironisch zu lächeln. Cora setzte die Pille ab, weil angeblich eine hormonelle Unverträglichkeit eingetreten war, und führte heimlich, von mir nur zufällig entdeckt, einen Fruchtbarkeitskalender, in dem sie mit kleinen Kugelschreiberherzchen die aussichtsreichsten Tage markierte. Sie kaufte Magazine und einschlägige Bücher, die sie betont unabsichtlich in meinem Sichtkreis platzierte, schleppte
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