Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
Muttersprache zur ersten wurde. Er nahm Handlangerjobs in der Tausend-Einwohner-Gemeinde an, deren Pfarrer Cornelias Vater war, bekam kurz darauf die Arbeit als stellvertretender Verwalter eines Gutshofs angeboten, wodurch er meinte, die wirtschaftliche Basis für eine Familiengründung gelegt zu haben. Er wurde Mitglied der evangelischen Gemeinde, besuchtejede Andacht und jeden Gottesdienst, aber Cornelia zeigte ihm weiterhin die kalte Schulter, verweigerte ihm gar burschikos auch nur den geringsten Kontakt, während sie, ohne dass ihr Galan je davon Kenntnis erhielt, den spärlichen Jungmännerbestand des Dorfes abweidete. Christian-Erik Balsam war kein sehr kluger Mann, weshalb er Kausalitäten konstruierte, die diametral zu gesund-menschenverstandlichen Gedankenwegen verliefen, und für sich herausfand, dass es sein fehlender Glaube war, der die etwas gedrungene, aber hübsche junge Frau so beharrlichen Widerstand zeigen ließ. Er beschloss, ein auf überzeugende Weise gläubiger Mann zu werden, um ihr zu gefallen, und schulte sich für seine Verhältnisse äußerst intensiv in den Lehren Christi. Bald geriet das eigentliche Ziel dieser Bemühungen ins Hintertreffen, denn aus dem Christen aus Liebesnot wurde innerhalb weniger Monate ein flammender Kreuzzügler für die monotheistische Sache – Christian-Erik hatte eine Aufgabe gefunden, die auch unterdurchschnittliche Intelligenzen voll auszufüllen in der Lage waren, ohne sich je einer Eignungsprüfung unterziehen zu müssen. Jederzeit das offenbarte, aber balsam-konform zurechtgestutzte Wort Gottes im Munde führend, hingebungsvoll unterstützt durch Cornelias Vater, wurde sein Dasein zur frömmelnden, besserwisserischen, nicht selten denunziantischen Mission. Aber es formte sich der Widerstand, denn eine Prise Gott war hier wie überall sonst in der Republik weitgehend in Ordnung, Überdosierungen jedoch wurden abgelehnt. Wo auch immer er auftauchte, flohen die Menschen auf Felder, in ihre Häuser, sprangen in Autos, auf Pferde oder Fahrräder, nur um sich nicht die Litanei des Dänen anhören zu müssen. Er hielt Reden über Keuschheit, Gottesfürchtigkeit, Nächstenliebe und Frömmigkeit, vor den wenigen Schülern, die die winzige örtliche Schule verließen, im Gasthof, auf dem eigenen Hof, aber notfalls auch nur für sich selbst, auf einer leeren, matschigen Weide stehend, den Blick auf dieomnipräsenten Wolken gerichtet, die von der Ostsee heranzogen. Er schwadronierte über das Opfer Jesu, über Sünden und Gebote, über Hölle und Paradies und steigerte sich mit jedem Wort weiter in den Wahn – Cornelia war längst so gut wie vergessen. Aus seiner Zwei-Zimmer-Wohnung auf dem Gutshof wurde eine Mönchszelle – ein Ausdruck seines gründlichen Missverstehens der protestantischen Idee –, die er aber alsbald verlassen musste, denn man hatte einen Verwalter eingestellt, keinen Prediger, der nur noch hin und wieder Verwalteraufgaben wahrnahm. Also zog Balsam ins Pfarrhaus ein, wurde für schmales Salär zu einer Art Gemeindehelfer, wodurch er Cornelia wieder näherkam, die, obwohl selbst nicht die klügste, durchaus begriffen hatte, was hier geschehen war und wer es indirekt ausgelöst hatte. Deshalb, so glaubte sie, würde sie dem Irrsinn vielleicht dadurch ein Ende setzen, dass sie die Restglut der Liebe in Balsam erneut anfachte, ihn eines Abends nach Strich und Faden abfüllte und anschließend nach allen Regeln der Kunst verführte.
Die späten Sechziger waren überall auf der Welt eine merkwürdige, nach Revolution duftende Zeit, aber auf dem Dorf im nördlichen Schleswig hatten die Uhren noch nicht damit angefangen, im Rhythmus von Dylans Songs, im Wind wackelnder Gänseblümchen oder von LSD-Halluzinationsschüben zu ticken. Als Cornelia schwanger wurde, existierte die Option, das mehr als unerwünschte Kind abzutreiben, höchstens virtuell. Sie trug aus, starb bei der Geburt, und so kam Jan-Hendrik auf die Welt, unehelicher – und damit eigentlich verdammter – Sohn von Christian-Erik Balsam, der das flugs umgewidmete – der Pfarrer half argumentativ – Geschenk Gottes freudestrahlend annahm und bei der Taufe das Versprechen gen Himmel sandte, die Liebesfrucht zu einem strahlenden Diener des Herrn zu formen. Das erste Wort, das der kleine Henner aussprechen konnte, war ein gutes Jahr später nicht »Papa« oder »Mama«, sondern »Gott«. Eigentlichsagte er etwas wie »Gock«, aber für Christian-Erik war es natürlich trotzdem ein Zeichen.
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