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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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mehr.« Ein süffisantes Lächeln erschien in seinem Gesicht, begleitet vom Erscheinen der Unterkieferruinen. »Wenn es nach mir geht, stehen wir entweder jede Sache, die passiert ist oder« – er hüstelte kurz – »noch passieren sollte, gemeinsam durch. Oder wir hören alle auf, hier und jetzt.«
    Henner setzte zu einem Widerspruch an, wurde aber von Mark unterbrochen.
    »Ich bin da seiner Meinung. Voll und ganz. Wenn du vom Boot gehst, gehen wir alle. Und wenn diese Pisshose da« – er zeigte zu der Stelle, an der die Havel aus dem Blickfeld verschwand – »Ärger machen sollte, muss er sich dick anziehen. Du hast die Kontrolle über das Boot verloren, aber wir konnten die Situation retten. So what? Soll er nur kommen.«
    Er atmete tief durch. Alle Blicke wanderten zu mir. Ich zuckte die Schultern – Marks Ausrede würde nicht mehr funktionieren, wenn es ein Video gab, und heutzutage nahmen viele Menschen ihre Umwelt ausschließlich auf diesem Weg wahr, aber das war in diesem Fall spekulativ. Außerdem: bellende Hunde. Aber unwohl fühlte ich mich trotzdem.
    »Was soll ich sagen? Was auf dem Boot geschieht, bleibt auf dem Boot. Und wenn uns einer anpissen will« – ich sah zu Mark –, »pissen wir vierstrahlig zurück. Ende der Durchsage.«
    »Das ist aus Hangover , oder?«, fragte Mark. »Was in Vegas passiert, bleibt auch in Vegas. Dieser Irre sagt das, glaube ich.«
    Ich nickte lächelnd, aber ob ich der Irre unter uns war, stand meiner Meinung nach längst noch nicht fest.
    Wir bestellten, wir aßen. Die Sonne schien, der Verkehr – hauptsächlich Touristen – bewegte sich hin und her, die Schleuse öffnete und schloss. Der Küchenduft mischte sich mit demjenigen des Wassers, der Wälder, der Sonnencreme vom Tisch nebenan, natürlich Simons ununterbrochenem Gequalme.
    Plötzlich hob Mark die rechte Hand und streckte sie Henner entgegen. »Ich wollte mich entschuldigen, Jan-Hendrik.«
    Henner fixierte die dargebotene Hand und blinzelte, auch wohl irritiert, weil er so förmlich angesprochen wurde. »Entschuldigen? Wofür?«
    »Weil ich dich … wie hast du gesagt? Gepiesackt habe. Mit deinem Job. Diesem Gotteszeug. Deinem Glauben.« Seine Hand hing weiterhin vor Henners Nase. Der schüttelte jetzt langsam den Kopf, ergriff aber die Hand.
    »Eigentlich war ich nicht deswegen sauer.« Der Pfarrer sah kurz zu mir. »Das bin ich seit Jahren gewohnt.«
    »Weswegen dann?«, fragte Mark, etwas verblüfft.
    »Mmh.« Henner sah zu den Fischen, und ich dachte an das Symbol auf seinem Nachthemd. »Vermutlich vor allem deshalb, weil es diesen Glauben nicht gibt. Ich glaube nicht an Gott, Jahwe, Allah, wie auch immer diese absurde Idee genannt wird. Und an keinen der vielen Vorgänger. Auch nicht an das mystische Zeug, an das die Naturvölker vorher geglaubt haben.« Er seufzte. »Ich bin ein Geistlicher, der nicht an Gott glaubt. Nicht mehr. Vielleicht habe ich das nie wirklichgetan.« Wieder sah er zu mir. »Ihr könnt euch möglicherweise vorstellen, dass das keine ganz einfache Situation ist. Man kann die Glocken läuten, die Kirche fegen, die Armen speisen, sogar am Krippenspiel teilnehmen, obwohl man nicht an Gott glaubt. Man kann sogar in der Kirche sitzen und mitbeten. Aber der, der vorne steht …«
    »Und da bist du dir sicher?«, fragte Mark.
    Henner hob die Hände. »So sicher wie nur irgendwas. Aber ich gestehe es mir erst seit ein paar Wochen wirklich ein. Vielleicht bin ich deshalb so dünnhäutig.«

    Christian-Erik Balsam war achtunddreißig, als er bei einem Fest die deutsche Pfarrerstocher Cornelia kennenlernte, die mit ihrer christlichen Gesangsgruppe im dänischen Dorf auftrat, in dem Balsam lebte. Es war Liebe auf den ersten Blick, jedenfalls seinerseits – Cornelia war zwar nicht abgeneigt, mit dem stämmigen, aber keineswegs hässlichen Mann, den Rücken im Schutz der Dämmerung an eine Birke gepresst, herumzuknutschen. Als sie jedoch begriff, dass es Balsam nicht nur darum ging, seine Zunge oder möglicherweise noch andere, ähnlich geformte Körperteile in sie hineinzustecken, sondern von der ersten Sekunde im Blick hatte, mit ihr eine Familie zu gründen und massenweise Kinder in die Welt zu setzen, trat sie den sofortigen Rückzug an. Der liebestaumelige Däne missverstand die Ablehnung als Aufforderung, um sie zu werben, weshalb er nach Deutschland übersiedelte. Eine Migration, die ganze dreißig Kilometer Luftlinie umfasste und lediglich zur Folge hatte, dass Balsams zweite

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