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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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mit dem Hubtor.
    Als erkennbar wurde, dass wir die Halteplätze am rechten Ufer ansteuerten, rief der Dürre, der während der vergangenen zwei Stunden jeden Blick in unsere Richtung vermieden hatte: »Ihr blöden Arschlöcher! Ich habe Eure Bootsnummer aufgeschrieben! Das hat noch Folgen!«
    Henner stand am Steuer, eigentlich schon darauf konzentriert, den Pott zwischen den anderen, hinter Walters Kahn, unterzubringen. Ich saß mit dem Jungen auf dem Vorschiff und sah genau, was mit Henners Gesicht passierte. Er war erst überrascht, dann wurde er wütend. Sehr wütend. Er riss das Steuer herum, gab Gas und hielt auf das deutlich kleinere Boot zu. Dazu signalisierte er, was ich in Templin auch schon signalisiert hatte, bei der Erstbegegnung mit Walters Familie: Unmittelbare Gefahr einer Kollision .
    »Henner!«, rief ich. »Lass!«
    Aber er zielte mit dem Bug der Dahme weiterhin genau auf das kleinere Boot. Dreißig Meter betrug die Entfernung vielleicht, aber sie nahm rasant ab – dank Simon. Die Bugwelle unseres Schiffes schäumte kaum weniger als Jan-Hendrik. Zwanzig Meter, zehn. Der andere Skipper hielt an, drehte ab, nahm Kurs zurück in Richtung Schleuse, gab Gas. Henner war unbeirrt, hupte wieder.
    Mark setzte dem Spuk ein Ende. Er stieß den Pfarrer einfach vom Steuer weg, zog den Gashebel nach hinten durch und kurbelte dann wie ein wilder. Henner schlug die Hände vors Gesicht, schüttelte den Kopf – und verschwand unter Deck.

    »Was war das denn? Wolltet ihr die versenken?«, fragte Simon, vor sich ein Glas Sekt – Sekt! – und einen vollen Aschenbecher. Der Gauloises -Vorrat, den er am Morgen mitgenommen hatte – vier Schachteln –, hatte nicht ausgereicht: Neben dem Aschenbecher lag eine Schachtel Lucky Strike . Die drei saßen auf der Terrasse des Restaurants, direkt am Ufer, Blickauf die hier ziemlich breite Havel und viele Fischschwärme dicht unter der Wasseroberfläche.
    »Ja!«, jubelte Finn-Lukas. »Henner hat direkt draufgehalten. Volle Kanone.«
    »Es gab einen kleinen … Konflikt«, sagte ich.
    Mark nahm Platz, Henner saß ein Dutzend Meter hinter uns am Boot im Schneidersitz auf dem Steg und starrte vor sich hin. Ein verschlankter Buddha, mächtig, in sich gekehrt, auf der Suche – und aus Gründen, die ich nicht verstand, die mir aber emotional klar waren, bemitleidenswert.
    Während Mark von den vergangenen drei Stunden erzählte, studierte ich die Speisekarte, hatte plötzlich enorme Lust auf Fisch, den ich auch bestellte. Die anderen hatten bereits gegessen, Walter und Sofie verabschiedeten sich von uns, fast schon zu scheu, der kleine Mann war ein bisschen traurig.
    »Die haben mich fahren lassen, Papa.«
    »Na, dann kannst du ja gleich das Steuer übernehmen«, sagte der dicke Vater. Beide strahlten.
    In diesem Moment tuckerte das von Henner verfolgte Boot vorbei, äußerst langsam und so weit wie möglich am anderen Ufer. Eine gereckte Faust wurde angehoben, doch wir drei lachten nur. Aber ich verspürte ein nervöses Kribbeln. Einfahren in einen abgesperrten Strandbereich, immerhin ohne Gefährdung. Zweimaliges Manövrieren ohne Sicht, wenigstens mit gutem Ausgang. Dinge, die man zahlenden Bootstouristen vielleicht noch durchgehen ließ, weil sie die Kassen der hier lebensnotwendigen Tourismusbranche fluteten. Aber der offensichtliche Versuch, ein Boot zu versenken, mit dem lebende Menschen unterwegs waren, mitten in einer verkehrsreichen Fahrrinne – heilige Scheiße! Wenn die Wut der beiden nicht abklang, wenn die dürre Frau vielleicht sogar noch im falschen Moment zur Kamera gegriffen hatte – dann wäre nicht nur der Urlaub zu Ende, sondern auch ein waschechter Straftatbestand in Reichweite.
    Henner setzte sich zu uns, griff nach der Speisekarte, klappte sie gleich wieder zu. Dann sah er uns nacheinander an. Sein Gesichtsausdruck war neutral.
    »Das ist natürlich unentschuldbar. Ich habe euch gefährdet und noch dazu den Jungen. Wenn ihr möchtet, verlasse ich das Boot hier, noch in Bredereiche.« Er sagte das mit Nachdruck, aber ohne Pathos. »Sollte diese Sache Folgen haben, übernehme ich selbstverständlich die Verantwortung. Es war meine Schuld, ich bade das auch wieder aus.«
    Dann nahm er wieder die Speisekarte.
    »Hör mal, Diener Gottes«, sagte Simon, das anschließende Schweigen brechend. »Wir haben für knapp vier Tage schon reichlich Unsinn angestellt, und ich kann nur für mich sagen: lustigen Unsinn. Eine so schöne Zeit hatte ich schon lange nicht

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