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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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einen Gott glaubt, den sich andere ausgedacht haben? Ein Trockenbauer, der nie die Wahl hatte, sein eigenes Leben zu führen? Habe ich je darüber nachgedacht, was das ist, mein Leben ? Je entschieden, was es sein soll ? Ein klares Nein , Euer Ehren. Mein Verhalten Cora gegenüber war ein simpler Besitzstandswahrungsreflex, ein Festhalten an den alten Göttern.
    Das Stück endete, die Leute auf der Terrasse applaudierten, und mit dem Lied endete auch die gesamte CD. Plötzlich war es für zwanzig Sekunden so still wie in der ersten Nacht auf dem Menowsee. Anna hielt mich noch immer fest umschlungen, hatte ihren Kopf auf meine Schulter gelegt und machte keine Anstalten, ihn dort wegzunehmen. Ich griff mit der linken Hand in ihren Nacken und erzitterte bei dem Gefühl, ihre weiche Haut zu spüren. Sie beugte ihren Kopf zurück, sah mich kurz an, und dann küssten wir uns.

    Im Bett, zwanzig Minuten später, küssten wir uns weiter, minutenlange atemlose Küsse, während unsere fast nackten Körper – Mann: Badehose, Frau: String – möglichst große Flächen des jeweils anderen zu berühren versuchten. Aus der Richtung von Simons Kabine war sexuelle Schwerstarbeit zu hören, gelegentlich unterbrochen von einem unterdrückten Husten, aber auch von dort, wo Henner nächtigte, erklangen Geräusche, die auf mehr als eine Person im Bett schließen ließen. Auf dem Boot bleibt auf dem Boot.
    »Ich will nicht mit dir schlafen«, sagte sie atemlos, küsste mich aber sofort wieder. »Aber vermutlich führt kein Weg daran vorbei.«
    »Wir müssen nicht«, erklärte ich tapfer und widersprach damit der unüberseh- und -spürbaren Meinungsäußerung des Untermieters in der Badehose. Frauen werden verführt, aber Männer können nicht anders , dachte ich. Wenn sich eine reizvolle Stöpselchance ergibt, stöpseln wir auch, das ist so unvermeidlich wie der Biss des Löwen in die zarte Gazelle.
    »Wir sollten nicht«, flüsterte sie. Und dann, nach einer kurzen Pause, als hätte sie meine Gedanken gehört: »Aber ich fürchte, ich kann nicht anders.«
    »Ich glaube, ich liebe meine Freundin wirklich«, gestand ich und bekam wieder eine Gänsehaut, keine Ahnung, wovon.
    »Ich liebe meinen Freund auch«, sagte sie keuchend. »Er heißt Andreas.«
    »Cora.«
    »Wir könnten uns nach dem Sex trennen und uns dann einreden, dass es nur ein Traum war.«
    »Das spielt letztlich keine Rolle«, sagte ich. »Ob wir es tun oder nicht, in unseren Köpfen ist es ja sowieso längst passiert.«

Tag 8:
Peilen
    Peilen – optisch oder durch Funk
einen Standort bestimmen.

Das Frühstück fand im Salon statt, weil es nieselte. Der Himmel zeigte sich bedeckt, aber es herrschten bereits jetzt – so gegen zehn – weit über zwanzig Grad. Es würde ein schwüler, diesiger Tag werden, vielleicht gäbe es wieder Gewitter – erklärte Henner, von seinem Tablet aufsehend, just als ich mich zu den dreien setzte. Mark tunkte soeben sein Messer ins Nutellaglas, drehte es dreimal um die Längsachse und förderte eine satte Nussnougatcremelocke zutage.
    »Ich bin wohl der Einzige von uns, der gestern Nacht Solosex hatte«, sagte er grinsend und verstrich die Creme auf dem frisch duftenden Brötchen, das vor ihm auf dem Teller lag. Ein Präsent von Karola, nahm ich an. Sie war genauso abwesend wie Henners Kanutin.
    Simon nickte lächelnd, Henners bemüht starrer Gesichtsausdruck war nicht einzuordnen, aber ich ersparte mir eine Bemerkung – die meinen kleinen Stolz darauf, Anna faktisch in letzter Sekunde im wahren Wortsinn von der Bettkante gestoßen zu haben, nur noch weiter verringert hätte. Dieser geringe Stolz war gepaart mit Reue – schließlich hatten wir mindestens gekuschelt – und gehörigem Ärger darüber, doch nicht mit dieser äußerst attraktiven Frau geschlafen zu haben. Etwas in mir spürte, dass diese Nacht eine Markierung darstellte, eine dieser Verzweigungen, die in zwei völlig unterschiedliche Leben führen: eines mit und eines ohne Vollzug. Es gab in meiner – wie in vermutlich jeder – persönlichen Geschichte ein paar dieser Punkte, an denen ein schlichtes Ja oder Nein einer grundsätzlichen Richtungsänderung mit weitreichenden Konsequenzen gleichkam. Mit sechzehn hatte ich ein inniges, sehr zärtliches Verhältnis mit einer Katja gehabt, einer – ansonsten mittelmäßig interessanten – Seele von einem Mädchen, die sointensiv und sich selbst verneinend in mich verliebt war, dass jede meiner Äußerungen einem Befehl

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