Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
gleichkam: Sie tat widerspruchslos, was immer ich wünschte, aber ich erlag nie der Versuchung, mir einfach alles Mögliche zu wünschen – etwa Analsex, den ich damals schrecklich gerne ausprobiert hätte. Weil sie noch nicht verhütete – sie arbeitete daran, ihre Mutter davon zu überzeugen, ihr die Pille verschreiben zu lassen – und meine Entscheidung, nur noch mit Lümmeltüte zu pimpern, erst wenige Monate später getroffen würde, beließen wir es bei stundenlangem Petting. Als sie schließlich stolz, aber flüsternd am Telefon verkündete, nunmehr empfängnisgesichert zu sein, wurde mir schlagartig klar, dass richtiger Sex mit Katja bedeuten würde, eine Verpflichtung einzugehen, für die ich mich nicht bereit fühlte, also machte ich noch während dieses Gespräches mit ihr Schluss. Ich hörte erst mehr als ein Jahrzehnt später wieder von ihr; sie hatte den nächsten Freund, einen schwammigen Steuerberater-Azubi, nach zwei Jahren Beziehung geheiratet und innerhalb der Dekade vier mäßig hübsche Steuerberater-Kinder von ihm bekommen. Als wir uns in einer Buchhandlung gegenüberstanden und ich erst nach mehrfachem Augenzusammenkneifen Katja hinter der aufgedunsenen und zugleich ausgezehrten Ich-bin-Mutter-und-nichts-sonst-Fassade erkannte, wurde mir bewusst, dass möglicherweise ich das Pendant des schmalen Weißgoldringes tragen würde, der zu diesem Zeitpunkt noch ihren rechten Ringfinger zierte – hätte ich seinerzeit nicht am Telefon die Beziehung beendet. Sie streifte den Ring ein halbes Jahr später ab, wie sie mir weitere fünf Jahre später gestand, per Mail, in der sie außerdem um ein Treffen »ohne Verpflichtungen« bat, das glücklicherweise nie zustande kam.
»Feinkörnig«, sagte Mark, unser Schweigen kommentierend, während ich an den Zettel dachte, der in meiner Jeans steckte, beschrieben mit dem Buchstaben »A« und einer Mobilfunknummer, die ich sicher niemals wählen würde.
Henner blickte auf. »Was ich dich schon immer fragen wollte«, sagte er, an ihn gewandt. »Was zur Hölle machst du eigentlich?«
»Machen?«, nuschelte Mark, das Nutellabrötchen mümmelnd. »Wie meinst du das?«
»Als Job. Zum Leben«, sagte Simon. »Interessiert mich auch.«
Ich nickte, drei zu eins.
Der Kokser legte das Brötchen ab. »Ich habe die AFFA, das ist meine.«
»Affer?«, fragte Henner.
»Ah. Eff. Eff. Ah. Agentur für fast alles .«
»Also letztlich für nichts?«, grübelte Simon.
Mark sah ihn an, etwas betroffen.
»Stimmt schon irgendwie. Zuletzt war ich Flughafentestkomparse.«
»Flughafenwas?«, fragte Simme und zündete sich eine Zigarette an.
»In Schönefeld. Vier Wochen lang gemeinsam mit mehreren hundert anderen so tun, als wäre ich ein Tourist, der abfliegen will, damit die Planer herausfinden konnten, ob alles funktioniert. Das war sogar recht lustig. Davor hatte ich einen Auftrag von einer Content-Agentur. Ich habe zweihundert Produktbewertungen geschrieben, zusammengestoppelt aus vorgegebenen Textbausteinen, ohne je eines der Produkte gesehen zu haben, und unter diversen Frauennamen. Vor allem Kosmetik und so Zeug. Zehn Euro pro Rezension, nur fürs Zusammenklicken und ein paar Füllwörter. Mein Glanzstück war die Besprechung eines Mascara-Stifts mit einem ultralangen, völlig sinnlosen Namen. Achtzig Zeilen darüber, dass diese Wimperntusche genau dasselbe tut wie jede andere, aber mehr kostet, weil der Name noch länger ist. Hundertzwölf Hilfreich -Bewertungen bei Amazon bisher.«
»Wie großartig«, sagte ich sarkastisch.
»Von irgendwas muss man leben«, antwortete Mark leise.
»Und du kannst davon leben?«, fragte Henner.
Mark sah ihn an und schien dann vorsorglich eine sich ankündigende Träne wegzublinzeln.
»Nicht wirklich«, sagte er.
Mark Rosen wurde im Dezember 1971 vor einer Butter-Beck -Filiale in Berlin-Gropiusstadt gefunden, eingewickelt in eine Steppdecke in einem Einkaufswagen liegend, von wo aus er wie ein Berserker schreiend auf sich aufmerksam machte. Der kurz vor der Erfrierung stehende Säugling war, wie man damals schätzte, ungefähr neun Monate alt. Die leiblichen Eltern wurden nie gefunden; man verbrachte das Findelkind zunächst in ein Heim und gab es ein knappes Jahr später zur Adoption frei. Allerdings fand sich vorerst niemand, der den kleinen Schreihals nehmen wollte; Mark krähte praktisch rund um die Uhr, energisch und durch nichts davon abzubringen, selbst beim Füttern und sogar im Schlaf schrie das Kind, zwischendrin
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