Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
Sektflasche, die ich verhältnismäßig professionell entkorkte. Dann stießen wir an, sie lächelte, wir tranken.
»Ich komme aus Krefeld«, sagte sie. »Übermorgen fliege ich nach Australien und fange dort ein Studium an. Ich habe ein Stipendium.«
»Ich bin Lektor«, antwortete ich. »Bei einem Sachbuchverlag.«
»O-kay«, sagte sie langsam, trank und grinste dabei spitzbübisch.
»Das hier bedeutet … was ?«
Sie nickte. »Es gibt solche Momente. Man sieht jemanden und denkt: Wenn ich den verpasse, werde ich mich lebenslang ärgern. So war es bei mir vor einer Woche.«
»Ich habe seitdem nach dir Ausschau gehalten.«
»Ich auch.«
Wir sahen zum schmalen Eingang, der halbwegs nach Westen zeigte. Die Sonne erreichte die Baumwipfel, der Himmel färbte sich violettrot, Schwärme von Mücken begannen mit ihrer Suche nach Blutopfern. Anna griff kurz nach hinten, dann hatte sie plötzlich nur noch Shorts an. Vier Sekunden später war sie völlig nackt. Und lächelte, als würde sie ein festliches Abendkleid tragen.
Ich dachte daran, was Curt Henderson wohl in diesem Augenblick, den er im Film nie erlebt hatte, getan hätte, sah ihn sogar kurz vor mir, bemerkenswert realistisch. Seine Vorbildfunktionendete an dieser Stelle. Es gab zwei Optionen. Die eine bestand darin, sanft, aber bestimmt den Kopf zu schütteln, Anna die am Boden liegenden Bekleidungsstücke zu reichen und die Situation mit den Worten »Ich bin in einer festen Beziehung« zu beenden. Wenn man eine Plastiktüte mit hunderttausend Euro in bar fand, gab es auch die Option, zur Polizei zu gehen und den Fund abzugeben. Keine Ahnung, ob es Statistiken über Bargeldfinder und deren Verhaltensweisen gab, allein, Kleinpatrick und ich entschieden anders. Wir hatten Sex mit Anna, wunderschönen, wenn auch etwas unbequemen Sex auf einer Holzbank in einem Holzhausboot, dessen Fenster in etwa so gut gegen Blicke geschützt waren wie das Podium der Bundespressekonferenz. Sex ohne Kondom, erstmals in diesem Jahrtausend, wie ich irgendwann zwischendrin feststellte. Alles andere entzog sich meinem Einfluss, außerdem schien ein obskurer Zeitraffereffekt einzusetzen – ich dachte langsamer, als ich erlebte, oder umgekehrt.
Dann saßen wir auf dem Holzboden, nackt, sahen einander an. Anna lächelte wieder, nickte.
»Das war schön. Ich werde das in Erinnerung behalten, während ich down under bin.«
»Ich auch«, sagte ich, und war bereits down under, in gewisser Weise. Dann schwankte meine Wahrnehmung.
»Na du«, sagte eine weibliche Stimme. Ich schlug die Augen auf, war keine Sekunde erstaunt darüber, nur geträumt zu haben, und stellte parallel fest, dass ich trotz der frühabendlichen Hitze eine Gänsehaut hatte, sogar meine Kopfhaut kribbelte. Ich sah zum Steg, da stand Anna, in rosafarbenen Jogginghosen zum Bikini-Top, das aber nicht grün, sondern beige war. Sie lächelte, was ich trotz der untergehenden Sonne in ihrem Rücken gut erkennen konnte, ich zwang mir ebenfalls ein Lächeln ins Gesicht und setzte mich auf.
»Ich bin in einer festen Beziehung«, sagte ich spontan und überraschte mich damit selbst.
Sie zog die Stirn kraus.
»So? Das ist sicher interessant. Ich übrigens auch.«
»Du hast mir einen Kussmund zugeworfen, in der Schleuse.«
»Ja, habe ich wohl.« Sie grinste schelmisch. »Und du hast anschließend wie ein Wilder gewinkt. Außerdem hast du mich nicht wie jemand angesehen, der in einer festen Beziehung ist.«
Sie kletterte aufs Boot und setzte sich im Schneidersitz neben mich. Anna roch nach Sommer und See, also wie alles um mich herum. Den Duft eines Parfums nahm ich jedenfalls nicht wahr.
»Ich habe während der vergangenen Tage ziemlich viele Dummheiten gemacht«, sagte ich leise, wobei ich das sichere Gefühl hatte, ein fremder Geist hätte sich meiner bemächtigt. »So reizvoll es ist, aber ich will nicht noch eine obendrauf packen.« Es klang seltsam, aber ich meinte das offenbar ernst, wobei es mir schwerfiel, mir selbst zu glauben.
»Wer sagt, dass ich Dummheiten mit dir anstellen will?«, fragte sie.
Jetzt grinste ich. »Was soll das sonst werden?«
Anna zuckte die Schultern. »Trinken wir was zusammen und finden es heraus.«
Ich kletterte in Jeans und Shirt. Wir gingen zur Restaurantterrasse, wo wir die anderen Leichtmatrosen und den Rest der Kanutruppe trafen, die gemeinsam eine L-förmige Tischanordnung okkupierten. Simon saß neben der Hafenmeisterin, deren linke Hand auf seinem rechten Oberschenkel lag
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