Leiden sollst du
Händen.“
Fred sah ihr fest in die Augen. „Wir wollen dich nicht ins offene Messer laufen lassen. Alexander und ich haben solche Leichen schon einmal gesehen, allerdings nicht in Deutschland, sondern in der Türkei, im Kosovo, in Brasilien, China. Alles Länder, in denen der illegale Organhandel blüht.“
Schüttler legte mit der rechten die linke Hand umständlich auf den Schreibtisch.
„Deutschland ist ein sehr ungewöhnlicher Schauplatz“, setzte Fred nach, „und absolut neu. Wir hoffen, dass der Mord einen anderen Hintergrund hat. Aber wenn es Organhandel ist, werden wir es mit vielen unbekannten Größen und Organisationen zu tun bekommen, die nicht wollen, dass die Sache aufgeklärt wird.“
„Nämlich welche?“ Lia sah Fred fest in die Augen.
„Angefangen bei der Organmafia, möglicherweise die Krankenkassen, möglicherweise die Pharmaindustrie. Aus anderen Ländern wissen wir, dass genau die am meisten von dem illegalen Handel profitieren.“
„Gibt es schon eine Idee, warum plötzlich in Deutschland so eine Leiche auftaucht?“
Unisono schüttelten Fred und Schüttler die Köpfe.
„Warum ziert sich das BKA? Die sind doch sonst nicht zu bremsen, wenn es um außergewöhnliche Fälle geht!“
Die Stille im Raum war so kompakt, dass sie das Aufklatschen der Schneeflocken an den Fensterscheiben hörten.
„Gegen die Mafia zu ermitteln, ist wie Selbstmord auf Bestellung, nur dass man nicht weiß, wann und wie schnell der Tod kommt. Da drückt sich jeder gern.“ Schüttlers Augenlider flatterten, was Lia irritierte. Sie starrte auf das Relief aus Schnee und Eis, atmete so gleichmäßig wie möglich und wartete ab, ob sich bei ihr ein ungutes Gefühl einstellen würde, das sie warnte.
„Ich mach’s trotzdem“, sagte sie schließlich.
Fred lächelte.
„Gut. Dann sehen wir uns um 17 Uhr zur Besprechung“, meinte Alexander Schüttler. „Du wirst das Team leiten, dich aber immer, und ich betone wirklich immer, mit mir abstimmen. Offiziell ermitteln wir in einem Todesfall, und je seltener das Wort Organhandel fällt, desto besser.“ Er zögerte. „Besser für dich, für mich, für uns alle. Und jetzt raus, ich muss telefonieren.“
Fred und Lia verließen gemeinsam sein Büro.
„Du hast Mut“, sagte Fred draußen auf dem Gang und legte ihr freundlich die Hand auf die knochige Schulter. Viele männliche Kollegen hatten zu Anfang Witze über Lia gemacht: Wer mit ihr ins Bett wolle, müsse sich gut polstern. Das hatte sie ihnen schnell abgewöhnt, denn sie dachte, ermittelte und überführte schneller als jeder andere.
Lia blickte ihn an. „Was macht euch am Organhandel so nervös?“
„Es ist nicht nur das organisierte Verbrechen, das im Zweifelsfall keine Hemmungen hat, auch Polizisten zu erledigen. Es ist ein ganzer Wirtschaftszweig. Du hast nicht nur eine Person als Gegenspieler, sondern Geld und Macht, und kaum jemand hat ein Interesse daran, dass das Ganze aufgedeckt wird.“
Lia runzelte die Stirn.
Fred fuhr fort: „Der Organspender im illegalen Handel hat entweder Geld bekommen, handfeste Drohungen oder ist ohnehin tot. Der Empfänger hat viel Geld bezahlt und mit seinem neuen Organ ein neues Leben begonnen. Die Operateure, von der Mafia erpresst und gefügig gemacht, haben nichts mehr zu verlieren. Ein System ohne Schwachstellen, wenn du so willst.“
Sie standen bereits vor Lias Bürotür. „Es gibt immer eine Sollbruchstelle“, meinte sie.
„Wenn du sie findest, kann sie dein Ende bedeuten. Manchmal ist es besser, nichts herauszufinden.“
Lia wusste, dass Fred einer der wenigen war, der zu ihr hielt und sie förderte. Deshalb verunsicherte sie seine Warnung.
„Ich werde den Fall lösen“, sagte Lia und öffnete die Tür zum Büro.
Pet arbeitete mit rotem Kopf und tat ihr augenblicklich leid.
„Wie alt bist du eigentlich?“
„19.“
„Macht man ein Praktikum nicht früher?“
„Auf meiner Schule macht man insgesamt drei, das hier ist mein letztes, im Frühjahr mache ich Abi. Und die Mordkommission hat meine Volljährigkeit zur Bedingung gemacht.“
„Aha, na gut. Hast du was herausgefunden?“
Er nickte. In diesem Moment klingelte ihr Telefon. Es war Karla. Lia erfuhr, dass die Besprechung von 17 Uhr auf morgen verschoben war, weil dann mehr Ergebnisse vorlägen. Jetzt parkte sie gerade im Hof, um Lia abzuholen und mit ihr in die Altstadt zu laufen. Es war Karlas Art, sich bei ihrer Lieblingsfamilie zum Essen einzuladen.
„Also! Was hast du
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