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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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sie.
    „Er bekam das Rauchen schon in die Wiege gelegt.“ Frau Buschhütter lachte freudlos. Die Bemerkung sollte wohl ein Scherz sein, war sie aber nicht. Asche fiel auf ihren braun-blau gestreiften Synthetikpullover. Obwohl sie sie sofort wegwischte, blieb ein kleines Brandloch zurück. „Schon mit zehn Jahren habe ich ihn dabei erwischt, wie er sich heimlich eine angesteckt hat. Mit zwölf hat er regelmäßig gequalmt. Nicht zu Hause, aber ich habe es an seiner Kleidung gerochen.“
    „Haben Sie nichts dagegen unternommen?“
    „Was hätte ich dagegen einwenden sollen?“ Verlegen trippelte sie auf der Stelle herum. Ihre Füße quollen über die fleischfarbenen Pumps. „Ich rauche ja selbst wie ein Schlot.“
    „Er war doch noch ein Kind!“
    Entschuldigend zuckte sie mit den Achseln. „Ich bin alleinerziehend, da lässt man vieles durchgehen, um den Vater zu ersetzen. Außerdem bin ich eh kaum daheim. Ich habe eine Teilzeitstelle und zwei Minijobs, um über die Runden zu kommen.“
    Es fiel Marie schwer, Verständnis aufzubringen, aber nicht jeder konnte in einem reichen Haushalt wie dem ihrer Eltern aufwachsen. Geld war nie ein Problem für Marie gewesen, und obwohl Irene Bast im Unternehmen ihres Mannes mitarbeitete, hatte sie sich für Maries Erziehung Zeit genommen, aber ein schönes Heim hatte sie deshalb trotzdem nicht gehabt.
    Frau Buschhütter schob den Gummibund ihrer dunkelblauen Stretchhose etwas tiefer, vermutlich weil er in ihren stattlichen Bauch einschnitt. „Irgendwann hat Denis nicht mehr nur geraucht, sondern auch gekifft. Die Ärzte sagen, er hat es damit übertrieben. Genauso wie mit dem Essen. Aber auch diese Veranlagung hat er von mir. Ich bin an allem schuld, an allem.“
    Gefühlvoll berührte Marie ihre Schulter. Unter ihrer Hand spürte sie, dass Denis’ Mutter vor Kummer bebte.
    „Er hätte psychische Probleme, sei labil, sagen sie“, fuhr Frau Buschhütter fort und löschte ihre Kippe in einem mit Sand gefüllten Aschenbecher, der neben dem Eingang stand. „Dadurch löste das exzessive Kiffen bei ihm eine Psychose aus. Ich hätte es merken können, merken müssen. Seit einem Jahr wacht er nachts manchmal schreiend auf. Er ist dann so nass geschwitzt, dass er duschen muss.“
    Marie zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrüht. „Seit einem Jahr?“
    „Ich dachte, das hätte noch etwas mit der Pubertät zu tun, denn Denis war schon immer ein Spätzünder. Angeblich hatte er schon Freundinnen, aber nach Hause hat er noch keine gebracht. Ist allerdings auch kein Wunder, bei unserem Drecksloch.“
    „Wenn ich etwas für Sie tun kann ...“
    „Sie müssen schon für Benjamin da sein. Der arme Junge und seine Familie machen ja zurzeit auch viel durch.“ Als Frau Buschhütter ablehnend ihren Kopf schüttelte, schwangen ihre schulterlangen braunen Spaghettihaare hin und her wie die Schnurgardine von Marie Großeltern im Luftzug.
    „Das kann man wohl sagen.“ Seufzend schmiegte sich Marie an das Gebäude, denn der Wind wurde stärker und peitschte den Regen unter das Dach.
    „Was ist nur los im Moment? Kummer und Leid, wohin man schaut. Meine Tochter liegt im künstlichen Koma.“
    Bestürzt riss Marie ihre Augen auf.
    „Claudi fiel beim Schlafwandeln aus dem Fenster. Ich hatte gar nie mitbekommen, dass sie manchmal nachts durch die Wohnung geistert. Ich meine, man fängt doch nicht erst mit dreiundzwanzig damit an.“ Seufzend rieb sie sich durch ihr blasses Gesicht. „Aber ich wusste ja auch nicht, wie schlimm es um Denis steht.“
    „Sie zittern ja.“ Obwohl Marie nicht glaubte, dass die Kälte der Grund dafür war, zeigte sie in Richtung Lobby. „Lassen Sie uns reingehen, dort ist es wärmer.“
    Frau Buschhütter nickte und ging voran. Ihre Absätze klackten auf den großen schwarzen Fliesen. „Aber ich will nicht anfangen zu jammern, das habe ich bisher nie getan und die Zeiten waren immer hart. Andere haben auch Probleme. Maik Hagedorn wurde festgenommen, wussten Sie das schon?“
    „Der Freund von Denis und Ben?“ Marie fiel in einen Laufschritt, um mit der großen, kräftigen Frau mitzuhalten.
    „Die drei Fragezeichen fallen auseinander. Ist ein dummer Vergleich, ich weiß, sie sind ja keine Hobbydetektive und besonders clever sind die Jungs auch nicht, wenn ich das so offen sagen darf.“ Entschuldigend hob sie ihre Hände und blieb vor dem Aufzug stehen. „Denis kifft sich in die Psychiatrie, Benjamin, verzeihen Sie meine Ehrlichkeit, muss

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