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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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der Anmeldung mitgenommen hatte, vor: „Besondere Schwerpunkte sind: Substitutionsbehandlung bei Heroinabhängigen ...“
    Aufbrausend unterbrach Benjamin sie. „Denis spritzt nicht oder so ’n Scheiß!“
    „Aber er kifft exzessiv.“
    Rote Flecken zeigten sich auf seinem Hals. Er starrte seine Turnschuhe an, als könnte er sich nicht daran erinnern, sie angezogen zu haben.
    Jetzt war der Moment gekommen, wo Marie mit ihm über seinen Graskonsum hätte reden sollen. Aber sie fühlte sich zu ausgelaugt und hatte in der vergangenen Nacht schon genug mit Daniel gesprochen. Zumindest hatte sie es probiert. Wenig erfolgreich. Sie blickte wieder auf das Heft. „Depressionen, Traumafolgestörungen ...“
    Der Aufzug hielt und die Tür öffnete sich, aber niemand stieg ein.
    „Trauma?“ Benjamin stieß sich von der Wand ab und wollte so schnell aus dem Aufzug eilen, dass es wie eine Flucht aussah, aber Marie hielt ihn davon ab, denn sie hatten das Stockwerk, in der sich die Abteilung Allgemeine Psychiatrie II befand, noch nicht erreicht. Während er an der Innenseite seiner Wange knabberte, nahm er ihr die Informationsbroschüre aus der Hand und ließ seinen Blick darüber schweifen. „Was ist Komorbidität?“
    „Wenn zwei oder mehrere psychische Störungen auftreten, zum Beispiel eine Psychose und ein Suchtproblem.“ Das stand direkt darunter, aber anstatt weiterzulesen, fragte er lieber. Typisch Ben! Marie fror, obwohl es im Krankenhaus warm war. Das lag vermutlich an dem wenigen Schlaf. Sie hatte kaum ein Auge zugemacht und tagsüber zu wenig gegessen. Wenn sie Kummer hatte, bekam sie kaum etwas herunter. Sie zog ihren Schal enger und schlang die Arme um ihren Oberkörper. „Denis liegt auf Station 15. Dort ist er unter ständiger Beobachtung, damit er nicht erneut versucht, sich umzubringen.“ Marie schob den Ärmel ihres Mantels zurück und sah auf ihre Armbanduhr. „Frau Buschhütter wartet vor der Stationstür, sagte sie mir am Telefon.“
    „Das trifft auf Denis zu.“ Ben gab ihr die Broschüre zurück.
    Spannungskopfschmerzen kündigten sich an. Sie massierte ihren Nacken, aber das brachte ebenso wenig Linderung wie das Gespräch mit Daniel in der Nacht. „Welcher Punkt?“
    „Alle.“
    Überrascht hob Marie ihre Augenbrauen. Bevor sie nachhaken konnte, verließ er die Kabine. Frau Buschhütter empfing sie. Sie umarmte Ben. Fest drückte sie ihn an sich. „Ich bin so froh, dass du ihn von den Schienen runtergezogen hast.“
    Benjamin hatte einen Krankenwagen gerufen. Nachdem Denis untersucht und festgestellt worden war, dass er keine Verletzungen hatte, hatte man ihn wegen versuchten Suizids in die Psychiatrie zwangseingewiesen. Marie war überrascht, dass Ben seinen Freund nach seinem Selbstmordversuch nicht einfach nur nach Hause gebracht und ins Bett gelegt hatte, ohne irgendwem etwas zu sagen, um ihn zu decken. Das ließ Marie hoffen, dass er sein eigenes Problem ebenfalls bald erkannte.
    Frau Buschhütter brachte Benjamin zu ihrem Sohn, während Marie in der Sitzecke, die zwischen Stationseingang und Aufzug unter einem Fenster stand, wartete.
    Als Denis’ Mutter zurückkehrte, hielt sie mit zwei nikotingelben Fingern eine Zigarettenschachtel hoch. „Rauchen Sie?“
    Marie schüttelte ihren Kopf. Befürchtete Frau Buschhütter, dass die Stühle für ihre dralle Figur zur klein waren? Marie hatte wenig Lust auf die feuchtkalte Luft, sagte aber aus Höflichkeit: „Aber ich leiste Ihnen Gesellschaft, wenn Sie möchten.“
    Gemeinsam fuhren sie ins Erdgeschoss und stellten sich unter das Vordach vor dem Eingang der Psychiatrie.
    Nervös, als bräuchte sie dringend Nikotin, um das alles zu überstehen, zündete sich Frau Buschhütter eine Zigarette an. Sie inhalierte tief und schien beruhigt. „Ich bin an allem schuld.“
    „Wie bitte?“
    Sie hustete röchelnd und hielt sich eine Hand vor den Mund. „Ich habe schon immer viel gequalmt. Hab es als Teenager mit meinen Freundinnen ausprobiert, weil es cool aussah. Die Kerle standen damals tatsächlich darauf. Also bin ich dabei geblieben. Als ich mit Denis schwanger wurde, versuchte ich aufzuhören. Aber wenn man Kette raucht, klappt das nicht. Ich reduzierte von zwei Schachteln auf eine, mehr war nicht drin. Nach Denis’ Geburt paffte ich am Fenster. Wir haben keinen Balkon, wissen Sie?“
    Marie wollte einwerfen, dass sie sich nicht entschuldigen und sich keine Vorwürfe machen brauchte, aber das wäre gelogen gewesen, daher schwieg

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