Leiden sollst du
Rücken tat weh, als hätte man ihm ein Messer zwischen die Schultern gerammt. Aber die Verspannung kam wahrscheinlich daher, dass er durch die privaten Ermittlungen seine Übungen, die der Physiotherapeut ihm gezeigt hatte, nicht gemacht hatte, redete er sich erfolglos ein. Die Basts zählten ihn nicht zur Familie, das hätte er sich denken können. Diese kleinen Spitzen brachten ihn jedes Mal aufs Neue auf die Palme. Er fühlte sich ausgeschlossen und versuchte, die Tropfen in seinen Augenwinkeln wegzublinzeln, während die Gläser am Tisch jenseits der Eisengeflecht-Trennwand klirrten.
„Wir sind immer für dich da, egal, was passiert.“ Aus dem Mund jedes anderen Vaters hätte dieser Satz aufrichtig geklungen, nicht jedoch aus dem von Rainer Bast. Bei ihm erzeugte er bei Daniel vielmehr das Bild eines Netzes, das seine Tochter einfangen und heimzerren sollte.
Marie seufzte. „Ich weiß.“
Ihr Vater war noch nicht fertig mit seiner Ansprache. „Auch wenn du gewisse Entscheidungen triffst, die im ersten Moment hart erscheinen, aber sicherlich besser für dich wären.“
„Wovon ...“, setzte Marie an, doch Irene unterbrach sie: „Wir hätten Verständnis dafür, wenn du ihn verlassen würdest.“
Ihre Worte trafen Daniel wie Pistolenschüsse.
„Daniel?“, hakte Marie nach, als könnte sie nicht fassen, dass ihre Mutter ihren Ehemann damit gemeint haben könnte.
Irene legte ihre Hand auf die ihrer Tochter. „Die Ehe ist auch für uns normalerweise heilig, aber ihr habt nicht einmal kirchlich geheiratet, daher gilt sie auch nicht richtig.“
„Für mich schon.“ Marie zog ihre Hand weg.
„Ihr wart schon immer sehr unterschiedlich. Du besuchst gerne Kulturveranstaltungen, legst Wert auf dein Aussehen und liest Bücher.“ Irenes Stimme wurde frostiger. „Er dagegen ist mehr der Kneipentyp – einfach gestrickt, zufrieden mit einem Bier in der Hand und etwas nachlässig in der Wortwahl, um es vorsichtig auszudrücken. Ihr habt noch nie zusammengepasst.“
Marie tat diesen Einwand mit einem lapidaren Achselzucken ab, aber sie setzte sich kerzengerade hin, was ihre Anspannung verriet. „Gegensätze ziehen sich eben an.“
„Die Zeit der Rebellion ist vorbei, Kind.“ Irene tätschelte ihre Tochter unbeholfen, da, so wusste Daniel, sie Marie nicht einmal in ihrer Kindheit in den Arm genommen hatte. „Wir verstehen uns doch jetzt besser als früher, nicht wahr?“
Glaubte sie etwa, dass Marie ihn nur geheiratet hatte, um gegen ihr versnobtes Elternhaus zu rebellieren? Daniel spürte einen Stich im Herzen. Er sollte über solch eine Anschuldigung müde lächeln, doch er konnte nicht ausschließen, dass etwas dran war.
Marie schob das Glas von sich fort. „Ich bleibe bei ihm.“
Meinte sie das wirklich ernst? Ihre Stimme klang brüchig, vielleicht weil ihre Eltern sie verunsichert hatten, möglicherweise aber auch, da sie den Tränen nah oder sauer war. Sie war eine starke Person. Gegen ihre Eltern jedoch konnte sie sich nicht durchsetzen. Er wollte ihr helfen, das zu ändern, falls er noch eine Chance dazu bekam. Daniel zog seinen Handschuh aus und schob seinen Ehering bis zum Knöchel hoch, um das Tattoo darunter zu betrachten.
„Doch nicht etwa aus Pflichtgefühl?“ Aufgebracht schob Rainer die Ärmel seines Bogner-Pullovers hoch und legte, unbewusst oder bewusst, seine teure Graham-Armbanduhr frei, die es, wie er nicht müde wurde zu betonen, nur in einer limitierten Auflage von fünf Stück weltweit gab. „Das hat eine Bast nicht nötig. Wir sind niemandem etwas schuldig.“
„Weil ich ihn liebe“, sagte sie so laut, dass auch die Personen an den umliegenden Tischen es hörten.
Daniel spürte eine angenehme Wärme im Brustkorb. Er entspannte sich etwas, doch die alten Zweifel kehrten zurück, ob er Marie ein Zusammenleben mit ihm überhaupt zumuten durfte. Das letzte halbe Jahr hatte sie es nicht leicht mit ihm gehabt. Sie fühlte sich, wie sie einmal gestanden hatte, von ihm abgewiesen. Manchmal konnte er ein richtiges Ekel sein, aber nur, weil er sich selbst nicht mehr leiden konnte. Er hatte nun mal Probleme, sich damit abzufinden, dass er nicht mehr gehen konnte. Doch er arbeitete an sich und seiner Einstellung. Er machte Fortschritte, hatte diesen romantischen Abend geplant und sich als Liebesbeweis Maries Vornamen in geschnörkelten Buchstaben um den Ringfinger an der rechten Hand tätowieren lassen.
„Das redest du dir ein, weil du ein gutes Herz hast. Aber schau mal“,
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