Leidenschaft des Augenblicks
Loyalität bei Frauen außerordentlich - vielleicht gerade deshalb, weil er in der Vergangenheit so wenig davon erfahren hatte. Und ihm war klargeworden, daß Jessie ihm - war er erst einmal Teil der Familie - dieselbe Liebe und Verbundenheit zuteil werden lassen würde wie den übrigen Mitgliedern des Benedict-Clans. Und auf der Basis dieser Beobachtung warb er um Jessie.
Hatch hatte gerade ein Buch mit dem Titel Auf dem Weg zu einer neuen Ökologie zur Hand genommen - dem Augenschein nach ein Geschenk von Jessies Cousin David -, als das Telephon auf dem Glastisch läutete.
»Gehen Sie bitte dran, Hatch?« rief Jessie aus dem Schlafzimmer.
Hatch hob ab. »Ja, bitte?«
»Hallo«, ertönte eine fröhliche Stimme. »Hier ist Alison von Caine, Carter and Peat. Ich hätte gerne Jessie Benedict gesprochen.«
»Einen Augenblick, bitte.« Hatch legte den Hörer neben das Telephon und ging durch die Diele, um an die geschlossene Tür zu Jessies Schlafzimmer zu klopfen.
»Wer ist es, Hatch?«
»Klingt nach irgendeiner Börsenmaklerin.«
»O Gott. Alison. Um diese Zeit? Ich hab' mich den ganzen Tag davor gedrückt, sie zurückzurufen.« Jessie öffnete die Tür und schaute Hatch bestürzt aus großen Augen an. »Ich hatte gehofft, ihr bis morgen vormittag ausweichen zu können. Sie will mir Anteile an einer Firma verkaufen, die fettfreies Speiseöl herstellt. Wissen Sie irgend etwas über fettfreies Speiseöl?«
»Nur daß das zu gut klingt, um wahr zu sein.«
»Genau das hatte ich befürchtet. Was soll ich ihr bloß sagen?«
»Warum sagen Sie ihr nicht einfach, daß Sie kein Interesse daran haben?« Hatch atmete den zarten Duft ein, der aus ihrem Schlafzimmer drang. Durch den Spalt in der Tür konnte er die Ecke des Bettes sehen, über das eine weiße Steppdecke gebreitet war. Auf dem hellen Teppich lag, verführerisch anzusehen, ein Paar schwarze Strümpfe.
»Verstehen Sie denn nicht?« Jessie klang verzweifelt. »Ich kann Alison nicht sitzenlassen. Ich bin mit ihr befreundet... sie ist neu in dem Geschäft, und sie arbeitet verdammt hart, um einen Kundenstamm aufzubauen. Ich habe einfach das Gefühl, daß ich ihr helfen muß.«
Hatch hob die Brauen, wandte sich um, ging zurück ins Wohnzimmer und nahm den Hörer auf.
»Jessie hat kein Interesse daran, Anteile an fettfreiem Speiseöl zu kaufen«, sagte er, ignorierte geflissentlich das protestierende Kreischen am anderen Ende der Leitung und legte auf.
Dann drehte er sich um und sah Jessie in der Diele stehen, die ihn anstarrte. Sie wirkte schockiert und verärgert. Er lächelte sie strahlend an.
»Sehen Sie, Jessie? Es ist gar nicht so schwer, nein zu sagen.«
»Das habe ich bemerkt. Und ich werde mich zu gegebener Zeit an Ihre Methode erinnern«, schnappte sie.
2. Kapitel
Für Menschen wie Sam Hatchard war es natürlich kein Problem, nein zu sagen. Ihm fiel es ganz offenbar leicht, anderen eine Bitte abzuschlagen, dachte Jessie, während sie, immer noch kochend vor Wut, in dem überfüllten Restaurant die Speisekarte durchlas. Die Sam Hatchards dieser Welt machten sich keine Gedanken darüber, ob sie die Gefühle anderer verletzten oder nicht. Ihnen war es gleichgültig, wie sehr es jemand treffen könnte, wenn man leichthin nein sagte.
Die Tatsache, daß die arme Alison neu im Börsengeschäft war
- eine junge Frau, die in einer rücksichtslosen, von eiskalten Männern dominierten Welt ums Überleben kämpfte -, schien Hatch egal zu sein. Ihn interessierte es nicht im mindesten, daß Alison dringend mehr Aufträge brauchte, wenn sie ihren Job bei Caine, Carter and Peat behalten wollte. Daß Alison mit Jessie befreundet war, spielte für ihn offenbar keine Rolle.
Jessie blickte auf, da sie Hatchs kühle, topasbraune Augen auf sich gerichtet fühlte. Er saß auf der anderen Seite des kleinen Tisches und beantwortete höflich eine Frage des strahlenden George Galloway. Doch obwohl er George gerade etwas
Geistreiches über langfristige Investment-Verzinsungen erzählte, war Jessie klar, daß Hatch in Gedanken mit der Frage beschäftigt war, wie er Jessie Benedict am besten behandeln sollte. Schließlich stand sie im Moment auf seiner Prioritätenliste ganz oben. Sie war fast so interessant und wichtig wie die langfristige Entwicklung des Zinsniveaus.
Jessie überlief ein leiser Schauer, doch sie wußte, daß dieses Gefühl nur teilweise auf Furcht beruhte. Zum größten Teil waren rein weibliche Spannungen schuld daran. Sie kam sich idiotisch vor,
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