Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt
verbracht. Nie hatte er daran gedacht, daß seine Eltern, die er über alles geliebt und verehrt hatte, einmal sterben würden und daß dann alles anders sein würde. Aber als sie beide tot gewesen waren, hatte er es für besser gehalten auszuziehen. Sein Zimmer hatte sich unter dem
Dach befunden. In die Schräge war ein Fenster eingelassen, so daß er in klaren Nächten vom Bett aus die Sterne hatte beobachten können. Und wenn es geregnet hatte, war es herrlich gewesen, sich in die warme Bettdecke zu k u sch eln und der Musik der Regentropfen zu la u sch en, die auf die Dachziegel geprasselt waren.
»Danke, Dorrie«, sagte er, »aber ich bin drüben in der Pension ganz gut aufgehoben.« Er schwieg einen Moment. »Tja, dann will ich jetzt mal wieder weiter.«
»Das wird auch Zeit«, zischte Cornelia. »Du hältst uns nur von der Arbeit ab.«
Dorrie bückte sich, nahm den Eimer mit Schmutzwasser und goß ihrer Schwester die Brühe vor die Füße. Cornelia schrie auf und konnte nur durch einen kühnen Sprung verhindern, daß ihre Schuhe und ihr Kleid naß wurden. Sie warf Dorrie einen vernichtenden Blick zu, aber die zuckte nur mit den Schultern.
Shay grinste, denn er wusste natürlich genau, daß Dorrie das mit Absicht gemacht hatte. Er schaute zuerst kurz in der Bank vorbei und ging dann zum Mietstall. Shay merkte, daß sein Erscheinen für Aufsehen sorgte, denn Tristan hatte hier ja erst vor einer Stunde ein Pferd gemietet und war damit, für alle sichtbar, aus der Stadt geritten. Die Männer im Stall wechselten zweifelnde Blicke und kratzten sich nachdenklich am Kopf. Shay genoß das Verwechslungsspielchen, aber ihm war klar: Die ganze Sache würde bald auffliegen. Für so etwas war Prominence einfach zu klein.
Als er weiterging, sah er eine Staubwolke, und er erkannte, daß Billy Kyle, der von vier seiner Freunde begleitet wurde, dafür verantwortlich war, denn die Reiter sprengten in vollem Galopp über die Hauptstraße.
Shay trat in die Mitte der Straße und wartete.
Erst im letzten Augenblick zügelte Billy sein Pferd und kam kurz vor Shay zum Stehen. Mit einem verächtlichen
Blick aus seinen kalten Augen musterte er den Marshall . »Schau mal einer an, unser Marshall aufrecht und nüchtern!«
Shay packte Billys Pferd am Zaumzeug. »Habe ich euch Jungs nicht schon einmal gesagt, daß ich es nicht mag, wenn ihr durch die Stadt galoppiert? Dabei könnte jemand verletzt werden.«
Man konnte Billy die Gedanken vom Gesicht ablesen. Er hatte gute Lust, dem Marshall ins Gesicht zu spucken, fürchtete jedoch, daß der ihm dann vor aller Augen eine Tracht Prügel verpassen würde. Er war klug genug, sich zurückzuhalten. »Das solltest du nicht vergessen, Marshall «, spottete er. »Ich meine, daß jemand verletzt werden könnte.«
Shay überlegte kurz, ob er Billy vom Pferd holen sollte, um ihn Stück für Stück auseinanderzunehmen, aber auch er beherrschte sich. Er war ein geduldiger Mensch und konnte warten.
So nickte er Billys Begleitern kurz zu. »Kyle und ich haben etwas unter vier Augen zu besprechen, Jungs. Reitet weiter und erledigt, was ihr hier in der Stadt zu erledigen habt.«
Billys Gesicht lief vor Wut rot an, seine Augen blitzten. Seine Hand fuhr zum Griff des sechsschüssigen Revolvers, der in seinem Gürtel steckte, aber als er Shays Blick sah, ließ er die Hand wieder sinken. Er begann zu sprechen, und seine Stimme klang haßerfüllt. »Reitet zum >Garter< und reserviert mir einen Platz am Pokertisch«, sagte er zu seinen Männern. »Ich komme gleich nach.«
Die vier Reiter konnten ihre Erleichterung kaum verbergen. Vorsichtig ritten sie um Shay herum und ließen ihre Pferde nur noch im Schritt gehen. Sobald sie verschwunden waren, packte der Marshall Billy blitzschnell am Hemd und zerrte ihn aus dem Sattel. »Zieh doch, du Dreckskerl«, stieß er zwischen zusammengepreßten Lippen hervor, als Billy wieder nach seiner Waf fe griff. »Aber ich bin schnel ler als du, und nichts würde mir mehr Spaß machen, als dich umzulegen.«
Billy war ein Mensch, der sich stark fühlte, wenn er wusste , daß seine Freunde hinter ihm standen. Dann schlug er wehrlose Frauen zusammen oder stieß einem Betrunkenen sein Bowie-Messer von hinten in den Rücken, aber wenn er alleine einem richtigen Mann wie Marshall Shamus McQuillan gegenüberstand, war er nur noch ein erbärmlicher Feigling. »Das werde ich meinem Daddy erzählen«, winselte er. »Dem wird es gar nicht gefallen, wie du mich
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