Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt
murmelte Aislinn mitfühlend. Sie wagte gar nicht, sich vorzustellen, was das Mädchen in diesen zwei Jahren alles durchgemacht hatte.
»Hör auf, mich zu bemitleiden«, erwiderte Liza Sue scharf. »Ich bin weder so hübsch noch so gescheit wie du. Ich muss te schließlich irgendwie überleben.«
»Natürlich«, lenkte Aislinn verständnisvoll ein. Sie hätte Liza Sue gerne in die Arme genommen und an sich gedrückt, so wie sie es früher mit Thomas und Mark getan hatte, wenn sie Angst gehabt hatten oder sich beim Spielen weh getan hatten, aber sie wagte es nicht.
»Ich hätte Lust, nach unten zu gehen und zu tanzen, bis mir die Füße brennen«, brach es aus Liza Sue heraus. »Möchtest du das nicht auch?«
Aislinn seufzte. »Ja«, gab sie zu, obwohl ihr zum Heulen zumute war. Und dafür gab es viele Gründe. Weil ihre Eltern tot und ihre Brüder so weit weg waren. Weil ihr Traum zum Greifen nahe war, sie aber nicht wusste , ob er Wirklichkeit werden würde. Weil sie nicht sicher war, ob sie das kleine Farmhaus instand setzen konnte und ob die Erträge aus dem Garten ausreichen würden, um drei Menschen zu ernähren. Und sie hätte weinen mögen, weil es junge Mädchen wie Liza Sue gab, die ihren Körper verkaufen mussten , um zu überleben.
»Laß uns doch runtergehen und ein bisschen Zusehen«, schlug Liza Sue mit verträumter Stimme vor. Allein der Gedanke, das fröhliche Tanzvergnügen vom Rande aus zu beobachten, schien ihre Stimmung aufzuhellen. »Man wird uns doch bestimmt nicht wegschicken, wenn wir nur Zusehen.«
»Nein«, räumte Aislinn ein, »Zusehen ist nicht verboten.«
Fünf Minuten später standen sie hinter einer mächtigen Topfpalme und betrachteten durch die gefingerten Blätter hindurch die Männer und Frauen von Prominence, die ihre besten Sonntagskleider trugen und sich vergnügt lachend zu den Walzerklängen im Kreise drehten. Aislinn fühlte sich seltsam erleichtert, als sie nirgends Shay McQuillan sah.
Die Luft im Speisesaal, der jetzt als Tanzsaal diente, war stickig. Aislinn hatte das Bedürfnis nach frischer Luft und ließ Liza Sue allein. Sie h u sch te durch die Hotelhalle und trat auf die Veranda. Es war zwar eine warme Nacht, aber hier im Freien konnte Aislinn wieder durchatmen.
Sie hatte schon eine Weile an der Brüstung der Veranda gestanden und die Sterne am klaren Himmel betrachtet, als sie hinter sich das Knarren einer Diele hörte. Sie rührte sich nicht und drehte sich nicht um. Das war auch nicht nötig, denn ihr Gefühl verriet ihr, daß er es war.
»Guten Abend«, sagte der Marshall .
Seine Stimme, seine Nähe machten ihr bewusst , wie einsam sie war. Das war ein Gefühl, das sie gewöhnlich ignorierte - aber jetzt gelang es ihr nicht, und das gefiel ihr überhaupt nicht. »Warum sind Sie nicht drin bei den anderen?«
Er trat neben sie und stützte seine Hände auf die Brüstung. »Warum sollte ich drin sein, wenn ich viel lieber hier bin?« entgegnete er.
Aislinn antwortete nicht. Sie brachte einfach keinen Ton heraus. Sie hatte geglaubt, nichts für diesen Mann zu empfinden und gegen seinen Charme immun zu sein, aber als er jetzt so dicht neben ihr stand, wurde ihr klar, daß sie sich die ganze Zeit etwas vorgemacht hatte.
Drinnen im Saal intonierten die Musiker eine neue Melodie, sanft und getragen, einen langsamen Walzer.
Shay legte seine Hand auf Aislinns Schulter und drehte sie zärtlich zu sich um, so daß sie ihm ins Gesicht sah. Für einen kurzen Moment - wunderbar und entsetzlich zugleich - glaubte sie, daß er sie küssen würde. Statt dessen nahm er sie in den Arm und begann mit ihr zu tanzen. Er wiegte sie leicht und drehte sie im Kreis. Es war dunkel auf der Veranda, und sie waren ganz allein.
Es wäre besser gewesen, wenn er mich nur geküßt hätte, dachte sie, während sie in seinen Armen lag. Bei einem
Kuß hätten sich nur ihre Lippen berührt, aber das Tanzen war so zärtlich, so intim - das Tanzen war fast so, als würde er mit ihr schlafen.
Shay legte sein Kinn auf ihren Kopf und zog Aislinn an sich. Sie spürte seine muskulöse Brust und die Kraft seiner Arme. Sein Körper war hart - und doch weich. So war es, auch wenn sie sich diesen Gegensatz nicht erklären konnte.
»Ich habe Angst«, murmelte sie, nachdem sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.
Aislinn sagte es zu sich selbst, aber auch zu ihm. Sie wusste nicht mehr, was in ihr vorging, das alles war so plötzlich gekommen wie ein Erdbeben. Sie wusste nur, daß ihr Leben nie
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