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Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt

Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt

Titel: Leidenschaft, Die Dich Verfuehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
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Juni 1884
    Er sollte weiterziehen, das wäre das einzig Vernünftige. Er sollte sich von Shay und dessen liebenswürdiger Frau, Aislinn, herzlich verabschieden, sein Pferd satteln und aus der Stadt reiten, ohne sich noch einmal umzudrehen. Es gab so viele Orte, wo ein Mann wie er hingehen konnte - zurück nach Montana zum Beispiel, wo er eine gutgehende Rinderzucht betrieb, die jetzt von bezahlten Fremden geführt wurde, oder in den Süden nach San Francisco, wo gewisse Damen lebten, die aus ihrer Bewunderung für ihn keinen Hehl gemacht hatten - und diese Bewunderung hatte durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Er könnte auch in den Osten zurückgehen, nach Chicago, Boston oder New York - ein Mann wie er, der ein Vermögen anlegen konnte, wäre in so einer großen Stadt gut aufgehoben, denn dort ließ sich das Geldverdienen mit den Annehmlichkeiten der Zivilisation verbinden.
    Er seufzte und hievte einen Getreidesack in seinen Wagen, einen kleinen, aber robusten Zweispänner, den er angeschafft hatte, als er sich vor nahezu einem Jahr eine kleine Ranch gekauft hatte, die etwas außerhalb von Prominence lag.
    Sein Bruder stand neben dem Wagen und beobachtete, wie Tristan arbeitete.
    Shay hatte die Arme vor der Brust verschränkt und den Mund zu einem selbstgefälligen Grinsen verzogen. Sein silberner Marshallstern funkelte in der Sonne. Shay war nun schon einige Monate verheiratet, und die Ehe mit Aislinn funktionierte bestens. Shay war der geborene Vater - und er hatte Aislinns jüngere Brüder auf Anhieb ins Herz geschlossen. Tristan hatte die Familie, die zusammen mit Dorrie im McQuillan-Haus lebte, anfangs regelmäßig besucht, um mit ihnen zu essen oder zu feiern, aber in den letzten Wochen waren seine Besuche seltener geworden. Er begründete das vor sich selbst damit, daß er nicht stören wollte, aber die Wahrheit war, daß er den Bruder um sein Heim und seine Familie beneidete.
    »Du könntest mir ruhig ein bisschen zur Hand gehen, anstatt nur dumm dazustehen«, brummte er und warf den nächsten Futtersack in den Wagen. Auf dem hölzernen Fußweg vor dem Laden, der nach Cornelias Verschwinden von Dorrie geführt wurde, standen noch jede Menge Säcke und Vorratskisten.
    Shay rührte sich nicht von der Stelle. Er erwähnte nicht, daß er zahllose Stunden auf Tristans Ranch verbracht hatte, um Land zu roden, Kälber zu brennen oder ausgerissene Rinder einzufangen. Er hatte Pfähle gesetzt, kilometerlange Stacheldraht-Zäune gezogen und geholfen, das Dach des Hauses neu zu decken.
    Tristan schob seinen Bruder zur Seite und warf den nächsten Sack mit so viel Wucht in den Wagen, daß die Federn quietschten und die Pferde, zwei alte Schindmähren, die ihre besten Tage schon hinter sich hatten, wieherten und mit den Hufen scharrten.
    »Aislinn möchte, daß du heute abend zu uns zum Essen kommst«, sagte Shay. Das stumme Verständnis in seinem Blick war für Tristan schlimmer, als es jeder andere Gefühlsausdruck gewesen wäre - schlimmer noch als offenes Mitleid. »Sie brät ein paar Hühner. Du weißt ja, welch großen Appetit ihre Brüder haben, wenn es ihnen schmeckt - und es schmeckt ihnen eigentlich immer, wenn Aislinn kocht. Natürlich gibt es dazu eine kräftige Soße und Biskuits, Kartoffelbrei und grüne Bohnen mit Zwiebeln und Speck.«
    Tristan merkte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Da seine eigenen Kochkünste mehr als bescheiden waren, aß er meistens im Hotel. Das Essen dort war wirklich nicht übel, aber es war eben keine Hausmannskost. Es mangelte ihm zwar nicht an Einladungen zum Abendessen oder zum Sonntagsbrunch in den verschiedenen Haushalten der Stadt, aber Tristan zögerte, solche Einladungen anzunehmen, denn gewöhnlich wurde bei diesen Anlässen eine Tochter im heiratsfähigen Alter vorgestellt, eine Nichte des Hausherrn oder eine entfernte Cousine der Frau. Tristan hatte zwar die Absicht zu heiraten - aber nur, wenn er die richtige Frau fand. Er mochte es nicht, wenn ihn jemand verkuppeln wollte oder ihn in peinliche Situationen brachte, die er anschließend auszubaden hatte. »Biskuits?« murmelte er.
    Shay grinste, denn er wusste , daß er gewonnen hatte. Er stieß sich vom Türrahmen ab, an den er sich gelehnt hatte, packte einen Futtersack und warf ihn in den Wagen. »Biskuits«, bestätigte er.
    Tristan nahm seinen Hut ab und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, die feucht und strähnig waren. Er hatte sich ein paar Tage lang nicht rasiert und roch wahrscheinlich nach

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