Leidenschaft und Pfefferkuchen
weiß nicht, was ich sagen soll“, gab Ralph zu. „Ich wollte es dir nicht am Telefon beibringen, aber …“
„Mach dir deswegen keinen Kopf“, beschwichtigte ihn Mark. Es fiel ihm schwer zu sprechen. „Ich bin froh, dass du derjenige bist, der mich angerufen hat. Ich muss jetzt auflegen. Grüß Sal von mir.“
„Kommst du klar?“
„Sicher.“ Mark fragte sich, ob er log oder nicht. Er legte den Hörer auf. Tot. Sylvia ist tot. Er horchte in sich hinein. Was, wenn überhaupt etwas, empfand er?
Sein Körper fühlte sich total hohl an. Als ob alles, was schon passiert war, ihm jegliches Gefühl genommen hätte. Leider füllte sich diese Leere schnell.
Er schloss die Augen, um die vergangenen Geschehnisse auszublenden, doch es nützte nichts. Erinnerungen überfluteten ihn, bis er schließlich in der Vergangenheit versank.
Er hatte Sylvia etwa drei Monate nach seinem Einzug in ein neues Apartment kennengelernt. Sie wohnte gleich nebenan. Eines Tages bog er um die Ecke eines Korridors und sah sie vor ihrer Wohnungstür stehen, unzählige Einkaufstaschen jonglieren und gleichzeitig in der Handtasche nach dem Wohnungsschlüssel suchen, der sich nicht finden ließ. Sie entsprach genau dem gängigen Klischee von einer New Yorkerin: groß und schlank, schön und dunkelhaarig, ganz in elegantes Schwarz gekleidet. Sie betörte ihn mit ihrem Lächeln, und bevor er wusste, wie ihm geschah, führte er sie in seine Wohnung, schenkte Wein ein und informierte sie bedenkenlos über seinen Hintergrund, während sie auf den Schlüsseldienst warteten.
Sie war intelligent. Sie brachte ihn zum Lachen. Er bewunderte ihre großen braunen Augen, ihren vollen Mund, ihre graziösen Bewegungen. Er war verdammt sicher, dass sie die Richtige für ihn war.
Mark seufzte tief. Er mochte sich vom Scheitern ihrer Beziehung erholt haben, aber ihr Verrat versetzte ihm immer noch einen Stich in die Brust. Warum war es ihm nicht gelungen, hinter ihre Fassade zu blicken? Er hatte immer geglaubt, besonders clever zu sein, was die Einschätzung anderer Personen anging. Bei der Mordkommission war er bekannt dafür, dass er das Motiv eines Kriminellen auf Anhieb erfasste. Doch bei Sylvia hatte er nichts Böses geahnt. Nicht einmal eine Sekunde lang.
Er war so zornig gewesen, hatte sich so verraten gefühlt. Er hatte ihre Bitten abgelehnt, noch einmal miteinander zu reden. Bevor er aus New York verschwunden war, hatte ihr Anwalt ihm einen Brief von ihr zukommen lassen. Ohne ihn zu lesen hatte Mark ihn in winzige Fetzen zerrissen und dem Anwalt zurückgegeben mit der Anweisung, dass sie ihn nie wieder belästigen sollte.
Sie hatte es nicht getan. Von dem Zeitpunkt an hatte Funkstille geherrscht. Und nun war sie tot.
Mark lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen. Schuldgefühle stiegen in ihm hoch. Doch er schob sie beiseite. Er hatte nichts falsch gemacht. Warum also fühlte er sich dann so mies?
Er sprang auf und stürmte hinaus auf den Parkplatz. Das Bedürfnis, sich zu bewegen, trieb ihn zum Laufschritt an.
Sylvia war einmal das Zentrum seines Lebens gewesen, doch dann hatte er sich von einem Tag auf den anderen im Krankenhaus wiedergefunden, wo er um sein Leben kämpfte. Er hatte sich von ihr abgewandt – ohne einen Blick zurück, aber in der Gewissheit, dass er sie irgendwann noch einmal konfrontieren musste. Nun sollte es nicht mehr dazu kommen.
Er erreichte seinen Truck, schloss die Fahrertür auf und stieg ein. Er hatte sich eingeredet, dass es richtig war, sie aufzugeben. Es war ihm wesentlich leichter gefallen als erwartet. Das warf die Frage auf, ob er sie je geliebt hatte. Wenn ja, dann war er ganz schön dämlich. Wenn nein, dann war er nicht zu wahrer Liebe fähig. Beide Möglichkeiten gefielen ihm nicht. Vielleicht lag die Wahrheit ganz woanders. Vielleicht hatte er sich einfach gestattet zu vergessen, weil es leichter war, als sich zu erinnern.
Ziellos, gedankenlos fuhr Mark durch die Gegend. Nach einer ganzen Weile fand er sich schließlich zu Hause wieder. Er verspürte einen brennenden Schmerz im Innern. Er wollte nicht allein sein. Nicht mit dem Schmerz, nicht mit den Schatten der Vergangenheit. Er starrte auf das Gebäude. Zwei Hälften eines Ganzen, dachte er benommen. Einsamkeit oder Trost. Es war keine schwere Entscheidung.
Er stieg aus. Anstatt zu seiner eigenen Haustür zu gehen, lief er zu Darcys Seite des Gebäudes und klopfte. Er machte sich nicht die Mühe zu analysieren, warum er sie
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