Leidenschaft und Pfefferkuchen
Er befühlte sie und dachte daran, dass die Ärzte ihm mitgeteilt hatten, dass er großes Glück gehabt hatte. Hätte die Kugel ihn nur wenige Millimeter weiter in der Mitte getroffen, hätte er zumindest ein lebenswichtiges Organ verloren. Sylvia hatte auf sein Herz gezielt. Bereits unter den gegebenen Umständen wäre er beinahe verblutet. Er beugte sich vor, um sein Bein zu massieren. Die Narbe dort bereitete ihm längst nicht mehr so viele Probleme wie noch vor einem Monat.
Während seines Aufenthalts im Krankenhaus hatten ihn viele Kollegen vom Kommissariat besucht. Die meisten hatten ihn damit gefoppt, dass „Narben von Schusswunden magnetisch auf Miezen wirken“. Doch irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass eine Frau wie Darcy sich für seine Verletzungen begeisterte. Eher würde sie nach einem Blick darauf in Ohnmacht fallen. Nicht, dass er beabsichtigte, ihr seinen lädierten Körper zu zeigen.
Mark richtete sich auf, öffnete den Wasserhahn in der Dusche und streifte sich die restliche Kleidung ab. Während er unter den dampfenden Strahl trat, rief er sich in Erinnerung, dass er nichts mit Darcy anfangen wollte, so attraktiv sie auf ihn auch wirken mochte. Wie er bereits am eigenen Leib erfahren hatte, konnte es sich als fatal erweisen, sich mit einer Frau einzulassen.
2. KAPITEL
Der große Saal in der Madison School maß fast vierzig Quadratmeter. An einer Wand befand sich ein riesiger steinerner Kamin. Mehrere Sofas bildeten Sitzgelegenheiten für Gesprächsrunden, während Kartentische ringsherum Platz für verschiedene Spiele boten. Die hohe Balkendecke trug zu der freizügigen, offenen Atmosphäre des Raumes bei. Der Duft von Popcorn mischte sich mit dem Geruch nach Holzkohle vom letzten abendlichen Imbiss.
Darcy saß auf dem Sofa in einer Ecke, die Füße unter sich gezogen, und lauschte, während ihr Bruder Dirk aufzählte, was er alles in seinen Koffer gepackt hatte.
Stolz verkündete er: „Ich habe sogar daran gedacht, dass ich Bürste und Kamm mitnehmen muss.“
Ihr Herz schwoll vor Liebe zu ihm, während sie sein vertrautes Gesicht musterte. Sie hatten beide blaue Augen und blondes Haar, aber Dirks Züge waren markanter. So sehr es sie auch wurmte, musste sie zugeben, dass er hübscher aussah als sie selbst. Mit vierzehn hätte er eigentlich an Akne und einer quieksenden Stimme leiden müssen. Stattdessen schien er den Übergang vom Kind zum Jugendlichen ohne Probleme zu meistern. Er wuchs stetig, statt in Schüben, wodurch er schlank blieb; seine Haut war rein. Sie bemerkte den Schatten eines Bartes auf seinem Kinn. Mein kleiner Bruder wird erwachsen …
„Ich bin beeindruckt, wie gut du packen kannst“, sagte sie aufrichtig. „Ich bin noch nie verreist, ohne etwas zu vergessen. Weißt du noch, als ich aufs College gekommen bin und mein Anmeldeformular zu Hause vergessen hatte?“
Dirk lachte. „Mom musste es dir bringen und war richtig sauer. Du hast gleich an deinem ersten Tag Schwierigkeiten gekriegt.“
Sie lächelte in Gedanken daran, während sie sich zu erinnern versuchte, wie es sich anfühlte, so verantwortungslos zu sein. Das Leben war leicht gewesen damals – die ganze Welt hatte ihr offengestanden. Doch das war schon lange nicht mehr so. „Du steckst ganz selten in Schwierigkeiten“, bemerkte sie.
Er strahlte. „Ich kann mir alle Regeln merken. Manche von denen sind doof, aber ich befolge sie. Mir gefällt es hier, Darcy. Ich will hierbleiben.“
„Ich weiß.“ Sie beugte sich vor und nahm seine Hand. „Du wirst so lange hierbleiben, bis du bereit bist, auf deinen eigenen Füßen zu stehen.“
Er wirkte skeptisch. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Eigenständigkeit war für ihn noch Jahre entfernt, aber die Madison School war eines der besten Internate im ganzen Land. Das hervorragend ausgebildete Personal war darauf spezialisiert, geistig behinderten Jugendlichen zu helfen, sich zu glücklichen leistungsfähigen Erwachsenen zu entwickeln. Der Prozess konnte sehr lange dauern, aber Darcy war bereit, sich in Geduld zu üben. Bisher waren alle Gutachten positiv ausgefallen. Außerdem war Dirk es ihr wert.
„Ich schätze, bis dahin wirst du die ganze Welt bereisen, stimmt’s?“, meinte sie.
Er grinste. „Ich kriege nicht die ganze Welt zu sehen. Bloß Chicago.“
Er ließ es so klingen, als wäre es keine große Sache für ihn, aber sie sah seine Augen vor Aufregung leuchten.
„Andrew sagt, dass es da ganz kalt ist, und deswegen nehme ich
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