Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
Teammitglieder aufgenommen. Einige von ihnen sprechen Deutsch und die Ausländer sprechen Englisch.«
»Sehr gut.«
»Werden Sie sich die Leute jetzt gleich vorknöpfen?«, fragte der Beamte, dem die Brisanz einer Mordermittlung innerhalb einer hochkarätigen Radsportmannschaft durchaus bewusst zu sein schien.
»Nein, das hat noch ein wenig Zeit. Die sollen ruhig noch ein bisschen schmoren. Wir gehen zuerst mal runter in den Keller zum Tatort«, erklärte der Leiter des K 1 und korrigierte sich umgehend. »Zum mutmaßlichen Tatort.«
Er blickte sich um. Bis auf Sabrina war niemand mehr da, selbst ihr Ehemann hatte sich bereits stillschweigend ins Untergeschoss verabschiedet.
Tannenberg mochte Michael Schauß sehr gern und behandelte ihn fast wie einen eigenen Sohn. Auch mit Sabrina verband ihn ein ausgesprochen herzliches Verhältnis. Doch manchmal war ihm der junge, diensteifrige Kommissar ein wenig zu keck und ungeduldig. Die Erstbegutachtung eines Tatortes war nun einmal dem Kommissariatsleiter vorbehalten – basta! Diese unumstößliche Basisregel hatte Wolfram Tannenberg von seinem langjährigen Vorgesetzten, dem unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommenen Kriminalrat Weilacher, übernommen. Und dabei sollte es auch bleiben.
Verärgert stieg er die Treppenstufen hinunter in den Keller, wo ihn Schauß vor der Tür erwartete. Mit einer entschuldigenden Geste sagte sein Kollege: »Ich hab nur von der Tür aus einen kurzen Blick hineingeworfen. Ich war nicht drin.«
Wie ein in die Jahre gekommener Löwe, der einem jungen Heißsporn imponieren wollte, blähte der Leiter des K 1 den Brustkorb auf und schritt erhobenen Hauptes an Michael vorbei. In dessen Rücken zwinkerte der braun gebrannte, durchtrainierte Kommissar seiner Frau zu und grinste über beide Backen. Ohne dass Tannenberg etwas davon mitbekam, boxte Sabrina leicht auf den lediglich von einem sportlichen T-Shirt verhüllten Waschbrettbauch ihres Mannes. Dabei schüttelte sie amüsiert den Kopf.
Inmitten eines etwa 20 Quadratmeter großen, rechteckigen Kellerraums stand eine Werkbank, auf der sich zwei Metallgestelle mit Hinterrädern sowie mehrere Ketten und Radkränze befanden. Von zwei Seiten her war der Mechaniker-Arbeitsplatz von schätzungsweise einem Dutzend hochwertiger Rennmaschinen eingerahmt, die auf Ständern aufgepflanzt waren.
An der linken Wand lehnten unzählige Einzelräder und Rahmen. Direkt an der Stirnseite der Werkbank befand sich ein Holzstuhl. Darauf lagerte Werkzeug und eine Dose Kettenöl. Circa einen halben Meter von der rechten Wand entfernt stand ein Feldbett, worauf ein lebloser, älterer Mann lang ausgestreckt auf dem Rücken lag. Sein Kopf hing über den Rand der Pritsche, die Arme baumelten schlaff herab, wobei die Handrücken den Boden berührten.
»Ein ziemlich modebewusster Geselle, unser Toter, findest du nicht auch, Wolf?«, fragte Dr. Schönthaler in die bleierne Stille hinein.
»Was?«
»Trägt eine großgliedrige Halskette – allerdings nicht zur Zierde.«
Tannenberg wiegte mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf hin und her. »Du immer mit deinen geschmacklosen Bemerkungen«, rüffelte er. »Ein bisschen mehr Pietät könntest du in solchen Situationen durchaus aufbringen. Schließlich handelt es sich hier um einen brutal ermordeten Menschen.«
»Bevor du deinen Mitmenschen überflüssige Ratschläge erteilst, solltest du dich besser mehr um den verbalen Blödsinn kümmern, den du von dir gibst. Dabei handelt es sich nämlich oft genug um nichts anderes als um Sprachmüll«, blaffte der Rechtsmediziner zurück. »Brutal ermordet! Was für ein schwachsinniges Adjektiv! Hast du etwa schon einmal einen liebevoll Ermordeten gesehen?«
Dr. Schönthaler wies mit dem Finger auf die kupferfarbene Fahrradkette, mit welcher der Mechaniker augenscheinlich erdrosselt worden war.
»Und so sonderlich brutal war das ja wohl auch nicht«, bemerkte der altgediente Pathologe weiter. »Da sind wir beide doch durchaus anderes gewohnt, nicht wahr? Oder steht unser lieber Herr Hauptkommissar neuerdings mehr auf die weniger rustikale Seidenstrumpf-Variante?«
»Todeszeitpunkt?«, fragte Tannenberg, der anscheinend keine Lust auf ein verbales Scharmützel mit seinem Freund hatte.
Der Rechtsmediziner reagierte nicht, sondern begann, sein Diktiergerät zu besprechen: »Als Strangulationswerkzeug kommt höchstwahrscheinlich eine neuwertige, nicht geschlossene Fahrradkette in Betracht. Die Strangulationsfurche
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