Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
Kakaoanteil dieser Schokolade zum Beispiel beträgt sage und schreibe 87 Prozent.«
»Das ist wirklich Wahnsinn, Flocke, der blanke Wahnsinn sogar«, spottete Tannenberg. »Also mich könnt ihr damit jedenfalls nicht verführen. Bitterschokolade hab ich noch nie gemocht. Wenn Schokolade, dann nur weiße Crunch.«
»Igitt, die ist doch völlig ungesund«, entgegnete Petra Flockerzie. Sie verzog dabei das Gesicht so, als ob sie gerade einen extrem unangenehmen Geruch wahrgenommen hätte.
»Und diese schwarze da soll gesünder sein?«, höhnte der Leiter des K 1 und zeigte dabei angewidert auf die in der Tischmitte liegenden Tafeln. »Meine liebe Flocke, jetzt aber mal ganz im Ernst: Schokolade kann überhaupt nicht gesund sein, bei dem vielen Fett und dem hohen Zuckergehalt, der da drin versteckt ist.«
Doch die klein gewachsene, stark übergewichtige Sekretärin ließ sich von dieser Gegenrede nicht von ihrer Mission abbringen. »Chef, da sind Sie leider nicht richtig informiert«, behauptete sie.
»Aber du«, gab Tannenberg barsch zurück.
»Ja, Chef, so ist es. Denn ich führe seit fünf Tagen eine Schokoladendiät durch. Und habe mich deshalb …«
»Schokoladendiät?«, unterbrach Tannenberg. »Was für ein Blödsinn. Dann kannst du genauso gut eine Leberwurstdiät machen.«
Petra Flockerzie griff sich mit beiden Händen an die Hüfte und drückte ihre Fingerspitzen in die Fettwulst hinein.
»Ich habe bereits ein ganzes Kilogramm abgenommen«, sagte sie mit stolzgeschwellter Brust. »Und zwar deshalb, weil in dieser schwarzen Schokolade weniger Zucker enthalten ist als in Fruchtjoghurt. Das hätten Sie wohl nicht vermutet, oder?«
Bevor Tannenberg etwas antworten konnte, fuhr die feiste Sekretärin mit ihrer Schokoladen-Laudatio fort: »Die Kakaobohne besitzt unglaublich viele lebenswichtige Inhaltsstoffe. Diese schützen vor Herzinfarkt, senken Bluthochdruck und Cholesterinspiegel, verzögern die Hautalterung und haben einen stimmungsaufhellenden Effekt. Wegen seiner antioxidativen Eigenschaften verhindert Kakao zudem die Tumorbildung. 100 Gramm schwarze Schokolade enthalten so viele Antioxidantien wie 30 Gläser Orangensaft oder zwölf Äpfel.«
»Das ist ja ein reines Wundermittel«, spottete der Leiter der Mordkommission und richtete sich auf. »Eigentlich müsste man sie verschrieben bekommen.«
»Früher konnte man Schokolade auch nur in Apotheken kaufen.«
Das Telefon läutete. Tannenberg ging zum Schreibtisch der Sekretärin und nahm den Anruf entgegen.
»Hiermit erkläre ich das Schokoladen-Seminar für beendet«, verkündete er, nachdem er den Hörer wieder aufgelegt hatte. »In einem Kellerraum ist ein männlicher Leichnam aufgefunden worden.«
»Und wo?«, wollte Sabrina wissen.
»Auf dem Antonihof.«
»Im Forsthaus von Kreilinger?«, fragte Geiger. »Oder handelt es sich etwa um Kreilinger selbst?«
»Wer weiß, wer weiß«, hielt sich der Dienststellenleiter bedeckt. Mit einem Seitenblick auf seine Sekretärin fügte er grinsend hinzu: »Gib mir mal ’ne Tafel schwarze Schokolade mit. Vielleicht kann dein Zaubermittel ja auch Tote wieder zum Leben erwecken.«
Marieke Tannenberg studierte Biologie an der Universität Kaiserslautern. Zu Beginn des laufenden Sommersemesters hatte sie sich am Institut für Biochemie um einen Hiwi-Job beworben und diesen auch erhalten. Das mit Drittmitteln geförderte, renommierte Forschungsinstitut arbeitete seit vielen Jahren mit der Nationalen Anti-Doping-Agentur, der sogenannten NADA, zusammen. In deren Auftrag führten die Institutsmitarbeiter unangekündigte Dopingkontrollen durch und werteten diese wissenschaftlich aus. Aufgrund eines erst kürzlich um über 60% erhöhten NADA-Budgets konnte die Anzahl der Trainingstests massiv gesteigert werden.
Fachleute bereiteten die an den Dopingkontrollen beteiligten Studenten intensiv auf ihre Arbeit vor. Vor allem der angemessene psychologische Umgang mit den doch oft sehr arroganten und unkooperativen Spitzensportlern nahm dabei breiten Raum ein. Sie erhielten auch ausführliche Erläuterungen zu möglichen illegalen Tricks der Athleten.
Bei der detaillierten Schilderung eines Täuschungsmanövers hätte sich Marieke beinahe übergeben müssen. Wie der Dozent erzählte, spritzten sich die Athleten vor einer Urinprobe in einer schmerzhaften Prozedur unbedenklichen Eigen- oder Fremdurin mit einem Katheder in die Blase, um diesen anschließend auf natürlichem Wege wieder abzugeben.
Eine Anekdote
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