Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
wird vom Körper selbst gebildet.«
»Genial«, bemerkte der Kriminaltechniker, der die ganze Zeit über stumm seine Arbeit verrichtet hatte. Er steckte die rechte Hand Joop van der Miels in eine Plastiktüte und klebte diese anschließend am Unterarm des Mordopfers fest.
»Wohl eher teuflisch als genial, mein lieber Karl«, korrigierte der Rechtsmediziner. »Denn diese Verfahren befinden sich erst in der Testphase und sind deshalb so etwas wie russisches Roulette für die betroffenen Sportler. Die Nebenwirkungen sind nämlich noch nicht bekannt, beziehungsweise noch nicht öffentlich gemacht worden.« Er stieß Luft durch die Nase. »Was sie wahrscheinlich auch nie werden.«
»Und du vermutest, dass alle Rennfahrer des Turbofood-Teams Dopingmittel benutzen?«
»Wer weiß das schon, Wolf. Vielleicht nicht alle wissentlich, aber …« Dr. Schönthaler stockte, dann schnäuzte er sich die Nase mit einem trompetenartigen Geräusch. »Was soll man von einem Teamsponsor halten, der Turbofood heißt. Da sag ich nur: Nomen est omen!«
Alle Fahrer, Funktionäre und sonstigen Teammitglieder des Turbofood-Rennstalls waren im Speisesaal des feudalen Hotels um zwei Tische herum versammelt. An dem einen hatten die Profi-Radsportler Platz genommen, an dem anderen Jenny, die Physiotherapeutin, ein weiterer Mechaniker, der Mannschaftsarzt Dr. Schneider sowie Bruce Legslow und dessen Ehefrau Melinda. Die beiden Streifenpolizisten hatten zwischenzeitlich die Personalien der Anwesenden aufgenommen, jedoch noch keinerlei Befragungen durchgeführt.
Bevor Tannenberg die Türklinke herunterdrückte, hielt er einen Moment inne. Durch die Sprossenscheiben hindurch beobachtete er eine Weile Bruce Legslow. Der Kaugummi kauende Amerikaner saß mit ausdrucksloser Miene am Tisch und spielte mit einem goldenen Feuerzeug herum. Wie bei einer Gras zermalmenden Kuh bewegte sich Legslows Kiefer ohne Unterlass auf und ab. Obwohl Tannenberg den mehrmaligen Gewinner der Tour de France bislang nur aus den Medien kannte, kultivierte er schon seit vielen Jahren eine starke Aversion gegenüber diesem ehemaligen Spitzensportler. Oder um es anders auszudrücken: Legslow war ihm absolut unsympathisch. Und wenn Tannenberg jemand unsympathisch fand, dann war er dies nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft.
Trotzdem darf ich mir jetzt meine starke Antipathie ihm gegenüber nicht anmerken lassen, denn schließlich bin ich nicht als Privatperson hier, sondern als leitender Ermittlungsbeamter in einem Mordfall. Reiß dich also zusammen!, mahnte er sich selbst zu professionellem, emotionslosem Handeln.
Er atmete noch einmal tief durch und öffnete die Tür.
In einer kurzen Ansprache stellte er sich mit Namen und Dienstrang vor. Mit Argusaugen beobachtete er dabei, wie John Williams seinem Teamchef soufflierte. Wie Tannenberg erst später erfahren sollte, war der Kapitän des Turbofood-Teams mit einer deutschen Frau verheiratet und fungierte als Dolmetscher für Legslow, dessen Ehefrau und die anderen amerikanischen Rennfahrer. Noch bevor der Kaiserslauterer Kriminalbeamte den Ablauf der Einzelbefragungen zu Ende erklären konnte, meldete sich Bruce Legslow zu Wort.
Er hob die Hand und rief: »Stop, Stop.« Dann sprach er mit Williams, der anschließend in sehr gutem, allerdings mit Südstaaten-Akzent versetztem Deutsch die Worte des sportlichen Leiters wiedergab: »Unser Boss hat angeordnet, dass niemand von uns etwas zur Polizei sagen darf, bevor nicht unsere Anwälte hier sind. Sie sind verständigt und befinden sich bereits auf dem Weg hierher. Die Angaben zu unserer Person haben Ihre Kollegen schon von uns bekommen. Das reicht.«
Trotz seines Unmutes über diese arrogante und unkooperative Haltung fragte Tannenberg in die Runde, ob tatsächlich alle Anwesenden von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen wollten. Als die Angesprochenen lediglich mit versteinerten Mienen und stummem Nicken reagierten, fixierte er Bruce Legslow mit einem kalten, herausfordernden Blick.
»Okay, wenn Ihnen nichts daran liegt, dass wir so schnell wie möglich den Täter fassen, mir soll’s recht sein«, erklärte er betont emotionslos. »Mein Kollege wurde ja schließlich nicht ermordet. Dann warten wir eben, bis Ihre Anwälte da sind.«
Obwohl er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, war Wolfram Tannenberg ziemlich frustriert, denn mit solch einer strikten Verweigerungshaltung hatte er nicht gerechnet. Zerknirscht verließ er den Speisesaal. An der
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