Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
verläuft horizontal und kreisförmig um den Hals des Opfers. Starke Unterblutungen verweisen auf eine ruckartige, mit hohem Krafteinsatz durchgeführte Strangulation. An den rötlich braunen Vertrocknungen befinden sich Anhaftungen einer transparenten öligen Substanz, wobei es sich dabei um Kettenöl handeln dürfte. Die Kettenglieder haben ein tätowierungsartiges Muster auf der Haut erzeugt.«
Dr. Schönthaler hob nacheinander die beiden Hände des Toten an und inspizierte die Fingernägel. »Mehrere eingerissene Fingernägel, die möglicherweise von Abwehrhandlungen stammen.« Er begab sich auf die andere Seite des Feldbettes, fasste seinen Freund scharf ins Auge und verkündete mit anschwellender Stimme: »Geschätzter Todeszeitpunkt: 5 Uhr – plus minus eine Stunde.«
»Na, das hättest du doch auch gleich sagen können, das andere sehe ich ja schließlich selbst.«
»Können schon, aber nicht wollen.«
Tannenberg rollte genervt die Augen. Dann wandte er sich an Mertel, doch der reagierte ähnlich abweisend wie der Pathologe. »Wolf, tu mir bitte einen Gefallen und frage mich jetzt nicht, ob wir schon etwas für dich haben.«
Tannenberg kehrte die Handflächen nach außen, so als ob er mit einer Waffe bedroht würde. »Schon verstanden: Ich soll euch in Ruhe lassen.«
»So ist es«, kam es zweistimmig zurück.
Wolfram Tannenberg winkte ab und wandte den beiden demonstrativ den Rücken zu.
»Kommt ihr mal bitte?«, ertönte plötzlich die tiefe Stimme eines Kriminaltechnikers vom Flur her. Tannenberg und Mertel eilten zu ihm hin, während der Gerichtsmediziner weiter unbeeindruckt sein Diktiergerät besprach. Der in einen weißen Plastikoverall gehüllte, groß gewachsene Mann wies auf das herausgebrochene Schloss einer Außentür.
»Gewaltsam aufgebrochen, schätze mal mit einem Stemmeisen«, spekulierte er.
»Fußspuren?«
»Noch nichts Konkretes. Wir fangen ja gerade erst an.«
»Schon gut, schon gut«, gab der Leiter des K 1 mit einer beschwichtigenden Geste zurück.
Anschließend ging er zum Leichenfundort zurück und berichtete seinem besten Freund die Neuigkeit. Doch der Rechtsmediziner antwortete nicht, sondern besprach stattdessen weiter sein Diktafon.
Nun hatte Tannenberg die Nase gestrichen voll. Wütend stürmte er aus dem Raum und traf im Flur auf Sabrina und ihren Ehemann.
»Ihr beide befragt jetzt umgehend die Putzfrau, das Hotelpersonal und die Gäste«, ordnete er im Befehlston an. »Ich knöpfe mir derweil Bruce Legslow und seinen feinen Profi-Rennstall vor. Unfreundlicher als dieser Muffelkopf da drin können die Radfahr-Schnösel auch nicht sein.«
»Wolf, hast du eigentlich schon einmal den Nachnamen dieses megaerfolgreichen Homunkulus übersetzt?«, rief Dr. Schönthaler seinem verärgerten Freund hinterher. »Der war in seiner Aktivenzeit nichts anderes als ein Rad fahrender Medikamentencocktail der amerikanischen Pharmaforschung. Ohne Doping hätte der sein Fahrrad sogar den Potzberg raufschieben müssen.«
Ein donnerndes Lachen hallte durch den Keller. Nachdem es verklungen war, wiederholte der Pathologe seine Frage.
»Nee«, erwiderte der Kriminalbeamte kurz angebunden. Doch die Frage hatte seine Neugierde geweckt. Er drehte sich auf dem Absatz um, ging ein paar Schritte zurück und erschien wieder im Türrahmen. »Legslow?«, zog er das Wort wie einen Kaugummi in die Länge.
»Exakt. Dieser Name lässt sich sogar zweimal in sinnvolle Worte spalten«, behauptete der Rechtsmediziner. »Nämlich in Leg-slow und Legs-low. Leg-slow heißt wörtlich übersetzt ›langsames Bein‹. Und Legs-low bedeutet so viel wie: schwache, kraftlose Beine.«
Tannenberg grunzte abschätzig. »Ausgerechnet bei dem.«
»Und Bruce leitet sich garantiert von ›brutus‹ und ›brutal‹ ab. Übrigens ist ›Bruce‹ auch die Bezeichnung für das leistungsfähigste Kernkraftwerk in Kanada. Das passt doch wie dein altersschlaffer Hintern auf einen Plastikeimer, oder findest du nicht?«
»Rainer, was hast du eigentlich mit ›Medikamentencocktail der amerikanischen Pharmaforschung‹ gemeint?«
»Nur das, was garantiert jeder Mediziner dachte, als dieser Turbo-Ami bei jedem Radrennen, an dem er teilgenommen hat, mit seinen sogenannten Konkurrenten spielte, wie er wollte. Egal, wo und wann, er konnte seinen Turbo zünden und die anderen einfach am Berg stehen lassen.«
»Du bist also auch der Meinung, dass Legslows Erfolge nicht auf legale Art und Weise zustande gekommen
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